Texte:Der Begriff der Bewegung

Aus club dialektik
Version vom 26. November 2008, 10:52 Uhr von Stephan (Diskussion | Beiträge) (Die Bewegung der Bewegung)

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Der Begriff der Bewegun
von Stephan Siemens
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Einleitung

Wenn man in eine philosophische Veranstaltung zum Begriff der Bewegung geht, dann hat man schon eine Vorentscheidung getroffen. Man glaubt, dass die Philosophie etwas zu dem Thema zu sagen hätte. Damit unterscheidet man sich von vielen Menschen, die der Auffassung sind, der Begriff der Bewegung sei ein Thema der Naturwissenschaften, speziell der Physik, zu dem die Philosophen als solche nichts beizutragen habe. Auch wenn ich selbst der Meinung bin, dass die Philosophie einen spezifischen Aspekt des Begriffs der Bewegung beleuchtet, so ist es doch nützlich – um das einmal so zu nennen – wenn man den Verdacht hat, dass das nicht der Fall sei. Wenn also jemand von Euch denken sollte, dass die Philosophie zu dem Thema überhaupt nichts zu sagen hat, dann bitte ich ihn oder sie, zunächst einmal daran festzuhalten. Und auch die Anderen möchte ich bitten, sich vorzustellen, dass es doch ziemlich unwahrscheinlich sein könnte, dass die Philosophie etwas dazu zu sagen hat. Denn das ist die beste Voraussetzung dafür, zu verstehen, was sie zu sagen hat.

Ich werde zunächst einen Gedanken von Zenon von Elea vorstellen, der philosophisch zu beweisen versuchte, dass es Bewegung nicht geben kann, dass sie vielmehr nur Schein ist. Ich wende mich dann einem bestimmten Aspekt der Kritik des Aristoteles an Zenon von Elea zu und nenne eine der Konsequenzen der Aristotelischen Kritik für einen philosophischen Begriff der Bewegung. Als nächstes stelle ich zwei wesentliche Kritikpunkte der sich in der Renaissance entwickelnden Physik an der Aristotelischen Bewegungslehre heraus. Anschließend entwickele ich einen mir wichtig erscheinenden Aspekt des philosophischen Begriffs der Bewegung, nämlich seine Reflexivität. Abschließend mache ich eine sich aus den Überlegungen ergebende Bemerkung über Philosophie und empirische Naturwissenschaften.

Bevor ich anfange, möchte ich eine Gedankenschnur auslegen, anhand derer man sich immer wieder in das Referat einschleichen kann, falls man den Kontakt zum Gedankengang verloren hat. Die Grundidee ist denkbar einfach. Sie lautet so: Eine mathematische Gleichung hat in sich keine Bewegung. Sie ist und bleibt, wie sie ist. Eine mathematische Funktion ist in sich bewegungslos. Das mathematische Denken ist als solches ein Denken ruhiger Beziehungen. Das philosophische Problem des Begriffs der Bewegung besteht in der Frage, wie und inwieweit die Bewegung mit in sich bewegungslosen mathematischen Denkformen erfasst werden kann. Wenn man dieses Grundproblem im Sinn hat, kann beim Denken der Dialektik des Begriffs des Bewegung nichts schief gehen.

Die Paradoxie der Bewegung

Zenon von Elea war ein Schüler des Philosophen Parmenides, dessen Grundlehren Zenon durch Beweise verteidigen wollte. Parmenides hatte behauptet, das nur das Sein ist, das Nichtsein aber nicht sei. Daher könne es Bewegung nicht geben; denn Bewegung setzt voraus, das am Ende der Bewegung dasjenige nicht ist, was am Anfang der Bewegung war. Wenn nichts anders geworden ist, dann hat sich auch nichts bewegt. Nichtsein aber ist nicht oder gibt es nicht, also kann es auch Bewegung nicht geben. Denn Denken und Sein sind dasselbe; was sich nicht denken lässt, das ist auch nicht. Bewegung lässt sich nicht denken, also ist Bewegung nur Schein. In Wahrheit gibt es sie nicht.

Dieses Argument wollte Zenon von Elea durch einige Beweise unterstützen, die als die so genannten Zenonischen Paradoxien in die Geschichte der Philosophie eingegangen sind. Schon diese Paradoxien haben es mit dem Verhältnis des Begriffs der Bewegung zu den mathematischen Denkformen zu tun, mit denen sie begriffen werden soll. Bewegung ist nur Schein, behauptete wie Parmenides auch Zenon von Elea, und das kann man Beweisen durch die Paradoxien, die sich ergeben, wenn man annimmt, dass es Bewegung wirklich gibt. Die schönste bekannteste Paradoxie ist die von dem schnell laufenden Achill und der langsamen Schildkröte, die einen Wettlauf gegeneinander machen. Der schnelle Achill räumt der langsamen Schildkröte einen Vorsprung ein. Zenon beweist nun, dass Achill die Schildkröte nie überholen kann. Das aber widerspricht der Voraussetzung, nach der Achill schneller ist als die Schildkröte. Der Gedanke der Bewegung führt zu Widersprüchen. Er lässt sich nicht denken. Also kann es Bewegung nicht geben.

Der Beweis ist denkbar einfach, klar und offenbar. Um die Schildkröte zu überholen, muss Achill dahin laufen, wo die Schildkröte losgelaufen ist. In der Zeit ist die Schildkröte schon ein Stück weitergekrabbelt. Sie hat also noch ein Stück ihres Vorsprung, oder sie hat einen Vorsprung. Achill muss also nun dahin laufen, wo die Schildkröte inzwischen hingekrabbelt ist. In der Zeit ist die Schildkröte weitergekrabbelt und hat wieder einen Vorsprung. Achill muss also wieder zuerst an den Punkt laufen, zu dem die Schildkröte inzwischen weitergekrabbelt ist. In der Zeit ist die Schildkröte weitergekrabbelt und hat also wieder einen Vorsprung. So wiederholt sich die Ausgangsituation immer wieder. Achill kann den Abstand zur Schildkröte zwar verringern, aber er kann sie nicht einholen, geschweige denn überholen. Das aber müsste er können, wenn es Bewegung geben können soll. Also gibt es Bewegung in Wahrheit nicht. Denn man kann sie gar nicht widerspruchsfrei denken. Ein Widerspruch aber kann im Denken nicht statt haben. Also lässt sich Bewegung nicht denken. Da Denken und Sein dasselbe sind, kann es also Bewegung nicht geben.

Dieser Beweis ist offenbar in sich selbst schlüssig. In ihm wird korrekt argumentiert. Doch das Ergebnis stimmt irgendwie nicht. Wir wissen ja, dass Achill die Schildkröte leicht und locker überholt, dass er an ihr vorbeiziehen kann. Offenbar stimmen hier das Denken und die Wirklichkeit nicht überein. Zenon sagt, dass sich Bewegung nicht denken lässt, und also gibt es sie nicht. Er schließt vom Denken auf die Wirklichkeit in typisch philosophischer Manier. Aber der gewitzte moderne Mensch weiß es besser, und schließt mit demselben Argument darauf, dass man mit dem Denken die wirkliche Welt eben nicht erfassen kann. Wir wissen doch alle, dass Achill die Schildröte überholt, und wir wissen es aus der Erfahrung, die also die eigentliche Quelle unseres Wissens ist. Nicht durch das Denken wissen wir etwas von der Welt, sondern aus Erfahrung. So könnte man die heutige Behandlungsweise dieses Problems in vielen Fällen zusammenfassen.

Doch diese Behandlungsweise hat einen philosophischen Mangel: Sie verzichtet – womöglich vor der Zeit – auf die Wahrheitsfähigkeit unseres Denkens. Das wäre weiter kein Problem, wenn damit nicht die wichtigste Eigenschaft des spezifisch philosophischen Erkennens ignoriert und außer Kraft gesetzt würde, nämlich die Selbstkritik des Denkens. Die weitere Entwicklung der Geschichte der Philosophie ist eine Selbstkritik des philosophischen Denkens, in der nicht auf das Denken und seine Wahrheitsfähigkeit schlicht verzichtet wird, so dass man unter dem von Zenon hingehaltenen Stöckchen durchspringt – oder besser darunter durchgeht. Die Philosophie hat vielmehr ein Denken entwickelt, das durch Selbstkritik diese Probleme zu lösen verstand. Dabei haben sich viele Philosophen verdient gemacht. Einen wichtigen Einschnitt in dieser Entwicklung stellt jedoch Aristoteles dar.

Aristoteles Kritik an dieser Paradoxie

Aristoteles entwickelt seine Theorie der Bewegung in einer Argumentation vor allem gegen die Beweis von Zenon von Elea. Er geht auch diesen Beweis Schritt für Schritt durch und fragt sich, was daran mangelhaft gedacht sein könnte. Ich kann diese – sehr komplizierten – Überlegungen hier nicht im Einzelnen darstellen und brauche es auch nicht, sondern kann mich auf das Ergebnis beschränken. Aristoteles sagt: Der Beweis stimmt, wenn man stillschweigend eine Voraussetzung mitmacht, die im Beweis unbewusst gemacht wird. Vorausgesetzt wird, dass immer, wenn Achill da angekommen ist, wo die Schildkröte losgelaufen ist, dieselbe Situation herrscht wie am Anfang des Wettlaufs. Immer wieder soll die Schildkröte einen Vorsprung haben. Das bedeutet – oder muss für die Richtigkeit des Beweises bedeuten: Die Anfangssituation ist wieder hergestellt. Aber das heißt auch: Achill steht und die Schildröte steht, und es sieht so aus, als würde der Wettlauf von vorne beginnen. Nur in diesem Falle stimmt der Beweis. Wenn Achill immer stehen bleiben würde, wenn er die Stelle erreicht hat, an der die Schildkröte losgelaufen ist, dann tatsächlich könnte er sie nie überholen. Dies ist also eine – zusätzliche unbewusste – Voraussetzung, die man machen muss, damit der Beweis stimmt.

Aber diese Voraussetzung trifft in der wirklichen Bewegung nicht zu. In der wirklichen Bewegung bleibt Achill nicht stehen, sondern läuft locker weiter und überholt infolgedessen die Schildkröte ohne jedes Problem. Wenn man sich also vorstellt, dass Achill den Punkt erreicht haben muss, an dem die Schildkröte losgelaufen ist, dann ist dies nicht in dem Sinne richtig, dass Achill dort anhalten muss und sich sagen muss: „So weit bin ich schon mal. Jetzt muss ich nur dahin laufen, wo die Schildkröte inzwischen hingekrabbelt ist.“ Denn für die Bewegung des Achill hat dieser – nun erreichte – Punkt eine andere Bedeutung als für die Bewegung der Schildkröte (wenn auch nur im ersten Fall, aber auf den kommt es hier an). Für die Bewegung der Schildkröte war dieser Punkt der Anfangspunkt ihrer Bewegung. Er ist daher ein wirklicher Punkt für die Bewegung der Schildkröte. Ihre Bewegung ist nicht bestimmt denkbar, wenn man diesen Punkt, ihren Anfangpunkt, nicht als relativ zur Bewegung wirklich oder existierend mitdenkt. Für die Bewegung des Achill stellt sich dieser Punkt – der Anfangspunkt der Bewegung der Schildkröte – ganz anders dar: In seiner Bewegung ist dieser Punkt einer von unendlich vielen, die Achill passiert. Als solcher spielt er für die Bewegung des Achill keine wirkliche Rolle. Achills Bewegung hat ihren Anfangspunkt nicht hier, sondern da, wo er losgelaufen ist. Wäre der Endpunkt seiner Bewegung da, wo die Schildkröte losgelaufen ist, so hätte Zenon von Elea zwar recht. Aber dann hätte Achill die Schildkröte gar nicht zu überholen versucht. Achill – so sagt Aristoteles – läuft einfach weiter. Der Punkt, an dem die Schildkröte losgelaufen ist, hat für seine Bewegung keine wirkliche Bedeutung. Er hat nur Bedeutung für uns, die wir uns fragen, ob er die Schildkröte überholen kann. Wir setzen eine Markierung dahin, wo die Schildkröte losgelaufen ist, und sagen: Erst muss er mal hier vorbei. Dann erst kann er die Schildkröte überholen. Für unsere Betrachtung stimmt das, weil Achill erst die Schildkröte überholen wird, nachdem er diesen Punkt passiert hat. Für die Bewegung von Achill ist das ein möglicher Punkt, auf den sich seine Bewegung äußerlich – d.h. durch einen Dritten, durch uns – beziehen lässt, wie wir das tun, wenn wir seine Bewegung betrachten. Er ist ein für die äußerliche Betrachtung seiner Bewegung möglicher Gesichtspunkt. Aber er ist nicht ein Punkt, der für die Bewegung des Achill selbst eine wirkliche Bedeutung hätte. Für die Bewegung des Achill hat dieser Punkt keine Wirklichkeit. Denn der Anfangspunkt seiner Bewegung ist ein anderer genau wie der Endpunkt seiner Bewegung ein anderer sein wird, wenn er tatsächlich die Schildkröte überholen will.

Die Strecke, die Achill durchläuft, kann man – oder auch: können wir als hinzutretende Theoretiker – in unendlich viele kleine Abschnitte und Punkte einteilen. Sie ist unendlich teilbar. Aber in der einen wirklichen Bewegung des Achill wird sie nicht geteilt, sondern bleibt ungeteilt. Deswegen braucht Achill nicht an den unendlich vielen Punkten anzuhalten und zu sagen: „So, hier bin ich schon mal, jetzt weiter“, um dann weiterzulaufen. Wenn das so wäre, dann könnte Achill sich überhaupt nicht bewegen. Denn dann wäre Bewegung tatsächlich undenkbar – wie Zenon von Elea behauptete. Achill läuft aber in einer einheitlichen Bewegung von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende, von hier nach da, von der Voraussetzung zu ihrem Resultat, und die Teilung der – in dieser Bewegung zurückgelegten – Strecke ist zwar möglich, aber für diese Bewegung nicht wirklich. Die Bewegung ist unendlich teilbar, aber ungeteilt, oder sie ist eine kontinuierliche Bewegung. (Was für die zurückgelegte Strecke gilt, das gilt in einer Bewegung auch für die Dauer, denn die Zeit lässt sich auf eine Linie abbilden, für die dann dasselbe gilt.) Das bedeutet, dass die Bewegung Punkte unterschiedlicher Bedeutung oder – wie wir sagen könnten –unterschiedlicher Qualität umfasst, nämlich Grenzpunkte am Anfang und am Ende, die relativ zu der gedachten Bewegung wirklich sind, und unendlich viele Punkte dazwischen, die relativ zu der Bewegung bloß möglich sind. Zenon von Elea behandelt in seinem Beweis Punkte, die für die vorgestellte Bewegung bloß möglich sind, als solche, die für die vorgestellte Bewegung wirklich sind, d. h. an denen die Bewegung tatsächlich zum Stillstand kommen muss. Die aristotelische Konzeption des Bewegungsbegriffs macht – anders als Zenon von Elea – den Unterschied zwischen für die Bewegung möglichen und für die Bewegung wirklichen Punkten. Aristoteles unterscheidet zwischen an dieser Bewegung wirklichen Punkten, nämlich dem Ausgangspunkt und dem Endpunkt dieser Bewegung, und möglichen Punkten, also solchen, die – um im Bild zu bleiben – passiert oder durchlaufen werden.

Das Ergebnis ist daher für Aristoteles eine wesentliche Bestimmung des Begriffs der Bewegung: Bewegung geht von hier nach da, vom Anfang zum Ende, von der Voraussetzung zum Resultat. Sie hat unendlich viele mögliche Punkte in sich, aber auch zwei relativ zu dieser Bewegung wirkliche, nämlich den Anfangspunkt und den Endpunkt der Bewegung. Daraus resultiert auch: Jede Bewegung hat einen Anfang und ein Ende, oder ist endlich. (Das gilt allerdings nach Aristoteles nur auf der Erde. Die himmlische Bewegung ist nach Aristoteles eine kreisende Bewegung und also unendlich. An dieser kreisenden Bewegung läßt sich daher kein Anfangspunkt und kein Endpunkt festhalten, oder jeder Punkt ist sowohl Anfangs- als auch Endpunkt. Das kann ich nicht ausführlich darstellen, muss ich aber auch für meine jetzigen Zwecke nicht. Denn das, worauf es jetzt ankommt, ist die Tatsache, dass die Bewegung auf der Erde endlich ist.) Denn jede Bewegung geht von hier nach da, hat einen Anfang und ein Ende, einen Ausgangspunkt und ein Resultat und ist eine Einheit. Diese Einheit kann man zwar unendlich teilen, aber sie ist ungeteilt. Sie ist – wie das auch genannt wird – kontinuierlich. Denn „kontinuierlich sein“ heißt nichts anderes als „unendlich teilbar, aber ungeteilt sein“. Dieser Begriff der Bewegung ist also nicht in erster Linie der Beobachtung von Naturprozessen geschuldet, sondern einer Auseinandersetzung mit einer logischen Argumentation einer philosophischen Position, nämlich der Zenons von Elea, der behauptet hatte, Bewegung lasse sind nicht denken. Dabei kritisiert Aristoteles, dass Zenon von Elea mit einer für dieses Problem ungeeigneten Voraussetzung versucht hat, den Begriff der Bewegung zu erfassen. Da ihm das dann – richtiger Weise – nicht gelungen ist, glaubt Zenon die Bewegung widerlegt zu haben. Aber Zenon übersieht die von ihm gemachte Voraussetzung. Macht man diese Voraussetzung nicht, so lässt sich der Begriff der Bewegung als ein kontinuierlicher Prozess denken, der von hier nach da, von der Voraussetzung zum Resultat, vom Anfang zum Ende führt.

Die Kritik der entstehenden Physik an Aristoteles

Der Begriff der Bewegung von Aristoteles ist in der Renaissance heftig kritisiert worden. Diese Kritik wurde unter anderem so formuliert, dass Aristoteles auf seine Überlegungen durch Beobachtung gekommen sei. Denn jede beobachtbare Bewegung sei tatsächlich eine endliche Bewegung. Aristoteles verallgemeinere aber unzulässig seine beschränkten Beobachtungen und speziell seine beschränkten Beobachtungsmethoden. Es mag sein, dass Aristoteles seinen Begriff der Bewegung der Beobachtung verdankt. Doch dafür sprechen seine Schriften nicht. Denn Zenon von Elea hatte nicht behauptet, Bewegung lasse sich nicht beobachten. Er hatte im Gegenteil behauptet, sie lasse sich nicht denken. Der Einwand des Aristoteles gegen Zenon von Elea lautet nicht: Beobachte doch mal, dann siehst Du doch, dass die Dinge sich bewegen. Aristoteles hat eine seiner Auffassung nach logische Widerlegung der Argumente von Zenon von Elea geleistet und leisten wollen. Aristoteles wollte zeigen, dass sich Bewegung denken lässt.

Eingeräumt wird: Wenn man Bewegung auf der Erde beobachtet, dann sieht sie so aus, wie Aristoteles das beschreibt. Aristoteles Bewegungstheorie wurde wesentlich als ein Resultat der Beobachtung von Bewegung mit unzureichenden Mitteln und einem beschränkten Medium betrachtet. Zuerst wurde das Medium der Beobachtung mit folgender Überlegung in Frage gestellt. Wenn ich etwa am Ufer stehe und einen Stuhl auf einem Schiff sehe, das flussabwärts fährt, dann bewegt sich für mich der Stuhl mittelbar. Denn er bewegt sich nur deshalb, weil das Schiff sich bewegt. Bezogen auf das Schiff bewegt er sich nicht. Wenn ich also auf dem Schiff stünde, dann würde ich sagen: Der Stuhl bewegt sich nicht. Ich würde sagen, er ruht, weil auch ich mich mit dem Schiff bewege. Das Bezugssystem für Ruhe und Bewegung wäre für mich und den Stuhl dasselbe, wenn ich auf dem Schiff befände. Stehe ich aber am Ufer, so ist mein Bezugssystem ein anderes als das des Stuhls. Ich sage also: Der Stuhl bewegt sich oder er ist bewegt. Wenn sich also zwei Gegenstände mit derselben Geschwindigkeit in dieselbe Richtung bewegen, dann erscheinen sie einander als ruhend. Eine andere Form von Ruhe gibt es nach dieser Betrachtungsweise nicht. Ruhe und Bewegung sind also relative Begriffe, in denen eine Bewegung als Ruhe gesetzt wird, die andere Bewegung wird als Bewegung bezeichnet relativ zu der als Ruhe aufgefassten Bewegung.

Mit dieser Überlegung wird ein wichtiges Problem gelöst. Wir leben auf einer sich bewegenden Erde. Uns erscheinen jedoch alle Gegenstände als ruhend, die auf der Erde liegen. Auch wir selbst erscheinen uns als ruhig, wenn wir hier sitzen, obwohl wir uns mit ziemlicher Geschwindigkeit teils um die Sonne, teils um die Erdachse bewegen. Weil diese unsre Bewegung aber dieselbe ist wie die Bewegung unseres Bezugssystems, deswegen erscheint sie uns in der Form der Ruhe. So kann es passieren, dass wir den Eindruck haben, die Erde ruhe und alle anderen Himmelskörper drehten sich um die Erde. Bewegung ist einerseits in dem Sinne allgemein, dass es nichts gibt, was sich nicht bewegt, andererseits in dem Sinne relativ, dass sich relativ zueinander zwei Körper nur dann bewegen, wenn der eine sich anders – in eine andere Richtung oder mit einer anderen Geschwindigkeit – bewegt als der andere. Diese Sache macht man sich am einfachsten klar, indem man den Begriff des Bezugssystems einführt. Bewegung setzt ein Bezugssystem voraus, durch das wir definieren, was Ruhe ist, indem wir die Bewegung des Bezugssystems als Ruhe setzen.

Bewegung und Ruhe sind in diesem Falle an sich dasselbe. Man braucht jedoch eine als Ruhe aufgefasste Bewegung, von der aus man andere Bewegungen als Bewegungen erfassen und bestimmen kann. An sich bewegt sich alles. Aber um die Bewegung als Bewegung – quantitativ und qualitativ - erfassen und beschreiben zu können, braucht man eine Bewegung, die als Ruhe interpretiert werden kann. Eines der vielen sich bewegenden Bezugssysteme wird als ruhig aufgefasst (in unserem Fall in der Regel die Sonne), die anderen Systeme als bewegt im Verhältnis zu diesem Bezugssystem bestimmt. Es ist für die mathematische Beschreibung gleichgültig, welches der Systeme als ruhig gesetzt wird. Aufgrund der Naturgesetze des Planetensystems ist es die Bewegung der Sonne, die als Bezugspunkt des Systems herangezogen wird, deren Bewegung als ruhig gesetzt wird.

Ruhe ist also nichts anderes als ein Fall von Bewegung, nämlich eine Bewegung, deren Richtung wie Geschwindigkeit dieselbe ist wie die Richtung und Geschwindigkeit des Bezugsystems. Ruhe und Bewegung wären demnach gar kein Unterschied in der Sache, sondern nur der Betrachtung nach. Es bedürfte daher eines äußeren Subjekts, das feststellt, welche Bewegung als Ruhe gesetzt wird und welche infolgedessen als Bewegung bestimmt sein soll. An sich selbst wären Ruhe und Bewegung nicht mehr zu unterscheiden. (Es ist nur von einzelnen Bewegungen die Rede, nicht von Bewegung überhaupt und erst recht nicht von verschiedenen Bewegungsformen. Die einzelne Bewegung ist nur im Verhältnis zu einer der Geschwindigkeit wie der Richtung nach gleichen Bewegung Ruhe. Eine andere Form der Ruhe gibt es an sich nicht, d.h. auch einzelne Bewegungen können als solche nicht zur Ruhe kommen, weil es Ruhe auch für einzelne Bewegungen gar nicht gibt. Dass es absolute Ruhe nicht gibt, erscheint mit anderen Worten so, dass jede einzelne Bewegung als ruhig aufgefasst werden kann, oder aber als bewegt. Die Ruhe ist nicht, wie bei Aristoteles, das Resultat einer zuende gegangenen Bewegung.)

Dies ist der Inhalt des zweiten Begriffs, der sich in der Renaissance als Bestimmung des physikalischen Begriffs der Bewegung in der Auseinandersetzung mit dem Aristotelischen Begriff der Bewegung entwickelt hat: der Begriff der Trägheit. Galileo Galilei hatte schon von der „unzerstörbaren gleichförmigen Bewegung“ gesprochen, in der die Körper befangen seien, wenn sie äußeren Einflüssen entzogen seien. Aus diesem Gedanken formte Newton das Gesetz der Trägheit, ein Grundgesetz der Mechanik, das er wie folgt formulierte: „1. Gesetz: Jeder Körper beharrt in seinem Zustand der Ruhe oder der gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern.“ In diesem Gesetz wird die Ruhe der gleichförmigen Bewegung gleichgesetzt. Beides sind Zustände, in denen sich ein Körper befindet, und an dem sich nichts ändert, wenn nicht ein anderer Körper auf den ersten Körper einwirkt.

Newton stellt sich offenbar einzelne Körper vor, auf die kein anderer Körper einwirkt, die also völlig dem Verhältnis zu anderen Körpern entzogen sind. Die Körper sind nicht als Teile einer gesamten Welt gedacht. Umgekehrt ist die Welt als aus an sich verhältnislosen, dann aber aufeinander einwirkenden Körpern zusammengesetzt vorgestellt. Die Körper werden sind als aus dem Zusammenhang der Welt abstrahiert. Sie sind daher als einzelne Körper entweder in Ruhe oder in gleichförmiger Bewegung, wenn nicht andere Körper auf sie einwirken. Nur auf eine solche ihrer Bewegung äußerliche Weise ist eine Veränderung ihrer Bewegung denkbar.

Ruhe und gleichförmige Bewegung werden jeweils als Zustände bestimmt, in denen sich ein Körper befinden kann, wobei aus dem Begriff der Trägheit hervorgeht, dass sich ein in seiner Bewegung nicht verändernder Körper als ein in Ruhe befindlicher Körper gedacht werden kann. Wenn er doch als in Bewegung befindlich erscheint, so deshalb, weil sich das Bezugssystem des Beobachters in einer anderen Bewegung befindet als der beobachtete Körper.

Es gibt demnach zwei Zustände, den Zustand der Bewegung und den Zustand der Ruhe, die als Zustände im Verhältnis zueinander zwar unterschieden werden können, aber als Zustände selbst nicht. Als Zustände sind sie entweder in Ruhe oder in Bewegung. Die Ruhe ist genauso ein Zustand wie die Bewegung, und die Bewegung ist genauso ein Zustand wie die Ruhe. Ein Körper kann sich also entweder im Zustand der Ruhe oder im Zustand der Bewegung befinden. Allerdings muss der Zustand der Bewegung muss nicht der Zustand der gleichförmigen Bewegung sein. Es kann auch zum Beispiel der Zustand der sich gleichmäßig beschleunigenden Bewegung sein. Dann ist die Bewegung zwar als in sich veränderlich gedacht, aber immer noch als ein Zustand, nämlich als der Zustand sich gleichmäßig beschleunigender Bewegung. Es ist dann die Veränderung der Bewegung, die als Zustand gedacht wird. Es kann auch eine andere Form der Veränderung der Bewegung in sich gedacht werden, solange es möglich ist, diese Bewegung als einen Zustand aufzufassen. Der für die Physik entscheidende Gesichtspunkt ist: Um ein Naturgesetz über die Bewegung behaupten zu können, muss an der Bewegung etwas gleichförmig oder unveränderlich sein. Sie muss als ein Zustand aufgefasst werden können, auf welcher Stufe der Abstraktion auch immer. Denn nur dann kann eine – in sich statische – mathematische Verhältnisbestimmung vorgenommen werden, wie sie für Naturgesetze notwendig sind. Die Bewegung muss in irgend einer Weise eine Gleichförmigkeit, eine „Invarianz“, etwas Unveränderliches aufweisen, um als Bewegung in einem Naturgesetz beschrieben und in einem gesetzlichen Zusammenhang bestimmt werden zu können. Wie diese Invarianz ermittelt worden ist und beschrieben wird, ist hier gleichgültig. Sie ist jedenfalls ein mathematischer, und infolge dessen unbewegter Ausdruck der Bewegung, oder er bezeichnet die Bewegung in irgendeiner Weise als Zustand. Wer also mathematische Gleichungen aufstellen will und damit Bewegungsverhältnisse – wie man in den Naturwissenschaften so schön sagt – „exakt“ erfassen will, der muss die Bewegung als Zustand auffassen, oder er muss der Bewegung irgendeine Art der Invarianz, der Unveränderlichkeit zuschreiben, die ihm die mathematische Verhältnisbestimmung erlaubt. Ohne jede Invarianz ist eine mathematische Verhältnisbestimmung nicht möglich.

Bewegung als Zustand

In dieser Form, die Bewegung zu denken, wird Bewegung als einer von zwei Zuständen gedacht, dessen anderer Zustand die Ruhe wäre. So denken wir die Bewegung in einer Gedankenform, in der wir auch die Ruhe denken. Genaugenommen müssen wir einräumen, dass diese Denkform, in der wir die Bewegung erfassen, gerade die Denkform der Ruhe ist, nämlich die Denkform des Zustandes, des sich nicht Verändernden. Wir denken die Bewegung in einer Gedankenform, die der Ruhe entspricht, nämlich in der Gedankenform des Zustandes. Der Inhalt dessen, was wir denken, ist Bewegung, und damit die Einheit von sich Unterscheidendem, aber die Form, in der wir diesen Inhalt denken, ist ruhig, unbewegt und schließt Unterschiede geradezu aus.

Das Problem wird vielleicht deutlicher, wenn wir zum Vergleich einen Lichtschalter heranziehen, der entweder angeschaltet ist oder ausgeschaltet ist. Der Lichtschalter hat zwei Zustände, den Zustand „An“ und den Zustand „Aus“. Beide Zustände sind als Zustände in Ruhe. In unserem Falle ist einer der Zustände der der Bewegung. Die Bewegung wird als Zustand gedacht, d.h. sie wird in der gedanklichen Form der Ruhe gedacht. Sie wird in einer Form gedacht, die dem Inhalt des Begriffs der Bewegung widerspricht. Der Begriff der Bewegung wird genau wie der Begriff der Ruhe unter dem Begriff des Zustandes gedacht. Ruhe und Bewegung sind zwei nebeneinander ruhende Zustände. Das Verhältnis von Ruhe und Bewegung ist ein Verhältnis zweier ruhender Zustände. Es lassen sich sicher noch viele Formulierungen für dieses merkwürdige Verhältnis finden, in dem die Form des Denkens der Bewegung zum Inhalt des Gedankens der Bewegung steht.

Nun könnte man versucht sein, zu fragen: Na und? Was ist das Problem? Wieso soll das Verhältnis von Ruhe und Bewegung nicht so aufgefasst werden, also nicht als zwei Zustände? Was spricht dagegen? Im Vergleich zum Bild des Lichtschalters lässt sich das Problem vielleicht deutlich machen. Der Lichtschalter ist entweder „An“ oder „Aus“. Einer dieser beiden Zustände liegt vor, der jeweils andere nicht. Und das ist es eben, was wir mit dem Wort „Zustand“ meinen. Sie ruhen in sich. Wenn ich von einem Zustand in den anderen Zustand übergehen will, dann muss ich den Schalter betätigen. Der Übergang von einem Zustand in den anderen ergibt sich nicht aus dem einen oder anderen Zustand selbst, sondern es bedarf einer Tätigkeit von außen, die den einen Zustand zugunsten des anderen Zustandes verändert. Ein Umschalten des Schalters verändert den Zustand, in dem sich der Schalter befindet. Gehen wir von den Zuständen aus, von denen wir sprechen, den Zustände der Ruhe und der Bewegung, dann haben wir – sofern wir sie als Zustände denken – dasselbe Verhältnis beider vor uns. Denn beide sind in der Form der Ruhe – oder eben als in sich ruhende Zustände gedacht. Wir müssen also hinzutreten und den einen Zustand zugunsten des anderen Zustandes beenden oder verändern. Nun ist die Frage: Ist dieser Übergang nur auf eine äußerliche Weise möglich? Bedarf es gewissermaßen eines Gottes, um vom Zustand der Bewegung zum Zustand der Ruhe zu kommen? (Um vom Zustand einer absoluten Ruhe zu dem der Bewegung überzugehen, bedarf es allerdings eines Gottes. Vor der Ruhe aus betrachtet, erscheint daher die Bewegung jedenfalls äußerlich, wenn die Ruhe nicht selbst als ein Resultat der Bewegung, als ein Fall ihres eigenen Gegenteils aufgefasst wird.)

Beim Schalter ist es klar, dass es einen Bediener oder eine Bedienerin geben kann. Denn ein Schalter ist ein künstliches Produkt. Bewegung und Ruhe dagegen sind nicht notwendig künstlich Produkt. Also ist es bei Ruhe und Bewegung eher unwahrscheinlich, dass es eine Instanz gibt, die den Schalter umlegt. Wie kommt man also, so fragt sich, von dem einen Zustand des Schalters zu dem anderen? Die Antwort liegt nahe: Durch eine Bewegung. Der Übergang von der Bewegung zur Ruhe ist selbst eine Bewegung, die Bewegung des „Zur-Ruhe-Kommens“, die Bewegung der Aufhebung der – einen – Bewegung (nicht der Bewegung überhaupt). Eine Bewegung kann also ihrem begrifflichen Inhalt nach die Bewegung des Zur Ruhe Kommens enthalten. Bei der Bewegung des „Zur Ruhe Kommens“ kann man von einer Bewegung der Bewegung sprechen. Eine zur Ruhe kommende Bewegung ist daher eine Einheit der Bewegung mit der Bewegung der Bewegung, also mit der Bewegung, die sich als Bewegung auf sich als Bewegung selbst bezieht.

Die Bewegung der Bewegung

Die Bewegung kann also einhergehen mit der Bewegung der Bewegung. Auf diese Weise wird die Bewegung nicht nur dem Inhalt nach, sondern auch der Form nach als Bewegung gedacht: Die Bewegung ist in sich bewegt. Aus dem Begriff der Bewegung, wenn er sowohl dem Inhalt nach als Bewegung gedacht wird, wie der Form des Denkens nach als Bewegung aufgefasst wird, ergibt sich, dass die Bewegung begrifflich verbunden ist mit der Bewegung der Bewegung. Die Bewegung ist kein Zustand, sondern der Zustand ist ihr Resultat, sofern es als von ihr abgelöst betrachtet wird. Die Bewegung hat ein Resultat. Abstrahiert man von der Bewegung, dann verwandelt sich das Resultat in einen Zustand. Zustände sind Produkte verschwundener Bewegung. Der Übergang von der Bewegung zu ihrem Resultat, das „Zur Ruhe Kommen der Bewegung“, ist selbst eine Bewegung, aber eine solche, in der sich die Bewegung auf sich selbst als Bewegung bezieht. Bewegung ist zugleich in einer Einheit Bewegung der Bewegung.

Zustände sind Resultate von Bewegungen, die verschwunden sind. Die Bewegung hebt sich in der Bewegung der Bewegung selbst auf, bringt sich selbst zum Verschwinden und bringt dadurch die Zustände überhaupt erst hervor, die also Resultate sind, die wir aber in Gedanken von der Bewegung abgelöst haben, deren Resultat sie sind. Bewegung und die Ruhe lassen sich als Zustände denken. Sie können in sich in Ruhe befindlich gedacht werden. Die Ruhe ein Resultat einer verschwundenen Bewegung ist. Die Bewegung bringt sich selbst zum Verschwinden durch die mit ihr verbundene Bewegung der Bewegung und ihr eigenes Gegenteil hervor. Dieser zweite Übergang, der Bewegung von der Bewegung zur Ruhe, unterscheidet sich von dem ersten, dem Zustand der Bewegung zum Zustand der Ruhe, dass der zweite zwar denkbar und auch möglich ist, aber wirklich nur werden kann, wenn es etwas Drittes gibt, das den Schalter umlegt. Hier empfiehlt sich der Gedanke der Schöpfung. Dagegen ist der Übergang durch die Bewegung in Einheit mit der Bewegung der Bewegung zum Resultat mit dem Begriff der Bewegung verbunden. Er ist ein wirklicher Übergang, der allein durch die Bewegung selbst in Einheit mit der Bewegung der Bewegung als wirklich gedacht wird, weil die Bewegung durch die mit ihr identische Bewegung der Bewegung zugleich ihr eigenes wirkliches Verschwinden ist, also die Bewegung ihres „Zur Ruhe Kommens“ mit umfasst.

Es ist also möglich, die Bewegung als Zustand zu denken. Und es ist auch nützlich das zu tun, um die Gesetzmäßigkeiten der Bewegungen zu erfassen. Aber auf diese Weise wird die Bewegung nur der Möglichkeit nach erfasst. Die wirkliche Bewegung, jede wirkliche einzelne Bewegung, bezieht sich zugleich auf sich selbst, indem sie als Bewegung der Bewegung sich selbst aufhebt, zur Ruhe kommt. Eine Bewegung, die sich nicht auf sich selbst bezieht, gibt es nach dieser Auffassung nicht. Oder anders formuliert: Eine einzelne ewige Bewegung gibt es nicht. Und da die Resultate der Bewegungen, die Zustände – wenn auch verschwundene – Bewegungen sind, gibt es auch keine einzelnen Zustände, die ewig wären. Alles Einzelne ist vergänglich. Alles Einzelne bezieht sich als Prozess oder als Bewegung zugleich auf sich selbst, insofern es zugleich Bewegung der Bewegung, sich zum Verschwinden bringende Bewegung ist, ein sich aufhebender Prozess.

Aber muss das so sein? Kann es nicht eine Bewegung geben, die zugleich Bewegung der Bewegung ist, und doch ewig in Bewegung bleibt? Die eine geschichtliche Bewegung der Natur als Totalität – mit allen ihren Bewegungsformen, darunter auch der Ruhe – ist allerdings in unendlicher Bewegung, oder anders formuliert: Eine absolute Ruhe gibt es nicht. Aber einzelne Bewegungen müssen – wenn diese Überlegungen zutreffen – zur Ruhe kommen, d. h. selbst ein Resultat hervorbringen, das relativ zu dieser einzelnen Bewegung ihr Ende, ihr Übergehen in Ruhe darstellt. Daran schließt sich dann eine andere Bewegung an, womöglich in einer anderen Bewegungsform. Anderenfalls müsste man für die einzelne Bewegung wieder eine „Invarianz“ behaupten. Eine solche Invarianz ist eine Denkform, die dem Inhalt des Begriffs der Bewegung nicht entspricht. Sie kann nur behauptet werden, wenn und insoweit es möglich ist, dass die Form des Denkens und der Inhalt des Gedachten nicht übereinstimmen. Das ist in Einzelwissenschaften durchaus erlaubt. In der Philosophie ist es zumindest problematisch. Die dialektische Philosophie behauptet, dass sie in der Lage sei, ihre Inhalte in den Formen zu denken, die diesen Inhalten nicht äußerlich sind, sondern mit ihnen identisch sind. In einer dialektischen Philosophie reicht es nicht aus, die Bewegung als Zustand oder in der Form der Invarianz zu denken, ohne zugleich das Gegenteil zu denken.

Philosophie und Empirie

Jede einzelne Bewegung findet in einem geschichtlichen Gesamtprozess statt, dessen Bedingungen diese Bewegung bestimmen. Wir Menschen überschauen diesen Gesamtprozess nicht. Wir sind daher nicht in der Lage, einzelne Bewegungen in ihrer konkreten Bestimmtheit zu erfassen. Wir isolieren daher einzelne Zusammenhänge aus dem geschichtlichen Gesamtprozess, um diese Zusammenhänge zwischen Bewegungsvorgängen in ihrer Bestimmtheit zu erfassen. Diese Zusammenhänge werden damit zugleich aus der geschichtlichen Bewegung abstrahiert. Daher scheint die Geschichte für die Naturwissenschaften keine Rolle zu spielen. Es ergeben sich als invariant vorgestellte Zusammenhänge, die uns dazu dienen, natürliche Bewegungen zu bestimmen, die wir als Naturgesetze formulieren. Diese so aufgestellten Naturgesetze setzen an die Stelle des wirklichen geschichtlichen Zusammenhangs, der die Bewegungen im Einzelnen aus ihren Bedingungen bestimmt, künstlich gesetzte, abstrahierte und wiederholbare Zusammenhänge, welche die Theoretiker als Abbilder natürlicher Zusammenhänge geschaffen haben, und die – etwa im Falle von Experimenten – dazu führen, dass wir die Bestimmtheit der Bewegung abstrakt von ihrem geschichtlichen Zusammenhang zu erfassen in der Lage sind. Der theoretisch konstruierte und im Experiment in die Tat umgesetzte Zusammenhang tritt an die Stelle des wirklichen, geschichtlichen Zusammenhangs. Damit sind wir in der Lage, die Bewegung aus abstrahierten Naturgesetzen – durch unsere theoretischen Voraussetzungen – bestimmt zu erfassen, obwohl diese Bestimmtheit sich nicht aus unseren theoretischen Voraussetzungen ergibt, sondern aus den wirklichen geschichtlichen Bedingungen der zu bestimmenden Bewegung.

In Experimenten können wir die Bewegung mathematisch aus Voraussetzungen bestimmen, die wir als gegeben setzen können, weil wir sie selbst als Naturkraft hervorgebracht haben. Dadurch werden die in der Physik untersuchten Bewegungszusammenhänge ungeschichtlich, reversibel, wiederholbar. Sie werden zu Gesetzen der Bewegung in der Natur. In diesen Gesetzen wird die Bewegung als Zustand erfassbar und für uns bestimmbar, indem wir sie aus dem wirklichen natürlichen und geschichtlichen Zusammenhang herausabstrahieren. Die wirklichen Bewegungen sind in dem geschichtlichen Zusammenhang von Bewegungen bestimmt. Aber diese Bestimmtheit können wir in der Regel nicht erfassen. Also ersetzen wir in unserer Erkenntnis die – in Wirklichkeit sie bestimmende – geschichtliche Bedingtheit einer einzelnen Bewegung durch unsere theoretischen Bestimmungen, die wir den von uns erfassten – von der Geschichte abgelösten – Bewegungszusammenhängen entnehmen. An die Stelle der wirklichen historischen Bestimmung tritt also die abstrakte Bestimmung durch den Theoretiker, der die Naturgesetze – als von der Geschichte unabhängige Gesetze – auf einzelne Bewegungen anwendet. Dafür bedarf es einer mathematischen Darstellung dieser Bewegungszusammenhänge. Die ist aber nur möglich, wenn die Bewegung als Zustand gedacht wird. Die Endlichkeit unseres Denkens erlaubt uns also meist eine bestimmte Erkenntnis bestimmter einzelner Bewegungsvorgänge nur, wenn wir diese Bewegung als einen Zustand denken.

Die Philosophie bedenkt die Voraussetzungen, die wir machen müssen, um zu einer solchen mathematischen Bestimmung der Bewegung zu gelangen. Wir müssen die Bewegung, um sie mathematisch bestimmen zu können, aus dem geschichtlichen Zusammenhang isolieren und als Zustand, also auf eine invariante Weise vorstellen. Wenn wir aber diese Voraussetzung berücksichtigen, dann können wir einen Begriff der Bewegung entwickeln, der unserer Erfahrung tatsächlich entspricht. Wir wissen von den Dinge auf empirische Weise. Wir erfahren, dass jede Bewegung endlich ist. Der dialektische Begriff der Bewegung beschränkt sich aber nicht auf diese Erfahrung. Er denkt diese Erfahrung, d. h. er erfasst ihre Rationalität. Mit einer solchen Rationalität, die sich der rationalen Erfassung der Erfahrung stellt, wendet sich die Dialektik gegen ein Verständnis der Rationalität, das sich auf – wie das in der dialektischen Philosophie – endliche Denkformen beschränkt. Endliche Denkformen sind solche, in denen die Voraussetzung, die im eigenen Denken gemacht werden, unbewusst bleiben oder gar ignoriert werden. Solche unbewusst bleibenden Voraussetzungen – das ist die Behauptung der dialektischen Philosophie – kehren dann als die Unbegreiflichkeit der Erfahrung wieder. Die Bewegung ist dann unbegreiflich, wenn man sie begreiflicher Weise und mit einem gewissen, beschränkten Recht als einen Zustand denkt. Um die Bewegung in ihrer Gesetzlichkeit zu bestimmen, muss man sie als einen Zustand denken. Denn das Gesetz ist ein ruhendes Abbild der Bewegung. Aber in der Philosophie – wo es im Gegensatz zu den „exakten“ Naturwissenschaften auf Genauigkeit ankommt – darf man nicht vergessen, dass man um der Gesetzlichkeit der Naturwissenschaft willen die Bewegung als Zustand denkt. In der Philosophie muss man diese Voraussetzung erinnern und dann auch in ihrer Endlichkeit aufheben. Dann zeigt sich: Das ruhige Abbild der Bewegung im Naturgesetz ist eine Form, in der man die Bewegung denken kann und denken muss, um sie als gesetzmäßig bestimmt und mathematisch bestimmbar aufzufassen. Aber die wirkliche Bewegung verkehrt zugleich solche ruhigen Abbilder in ihr Gegenteil, in dem sie zugleich Bewegung der Bewegung ist, in dem sie zugleich reflexiv ist. Eine Bewegung ohne Selbstbeziehung, ohne Bewegung der Bewegung kann es in Wirklichkeit nicht geben. Das ist rational im dialektischen Sinne.