Texte:Simone de Beauvoir und "Lady Catterley"

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Simone de Beauvour und "Lady Chatterley"
Eine existentialistische Analyse des Geschlechterverhältnisses am Beispiel des Romans « Lady Chatterley » von T.H. Lawrence
von Uschi Siemens
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1. „Das andere Geschlecht“, seine Zeit und Bedeutung

Mein Vortrag bezieht sich im wesentlichen auf « Das andere Geschlecht » von Simone de Beauvoir und auf den Roman „Lady Chatterley“ von D.H. Lawrence. „Das andere Geschlecht“ wurde 1948 veröffentlicht. Simone de Beauvoir hat über zwei Jahre für dieses Buch recherchiert. Dieses Buch entstand, kurz nachdem Beauvoir zusammen mit Sartre die Theorie des Existentialismus entwickelt hat. Diese Theorie ist entstanden während der Besatzungszeit der Nazis als Reaktion auf die Resistance, die französische Widerstandsbewegung. “Das andere Geschlecht“ ist also nicht aus einer feministischen Sicht geschrieben, sondern Beauvoir analysiert in diesem Buch das Geschlechterverhältnis aus der existentialistischen Perspektive.

2. Der Existentialismus

Um „Das andere Geschlecht“ und vor allem Beauvoirs Kritik an dem Roman von Lawrence verstehen zu können, müssen wir uns als erstes mit einigen elementaren Begriffen und Grundlagen der existentialistischen Theorie vertraut machen.

Die existentialistische Theorie geht davon aus, das der Mensch als freies Subjekt in die Welt geworfen wird. Geworfenheit bedeutet, es gibt keine uns äußerliche Institution (kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun, nicht einmal die Eltern), die unser Leben bestimmen, ihm einen Sinn geben kann. Der Existentialismus geht davon aus, dass jedes Subjekt den Sinn seines Lebens selber bestimmt und damit auch Verantwortung für sein Leben übernimmt.

Das Subjekt bestimmt sein Leben selbst, indem es sich entwirft. Sich entwerfen heißt soviel wie, sich selbst zu entwickeln, sich zu verwirklichen, sich Ziele zu setzen und Wege zu suchen, diese Ziele zu erreichen. Oder auch: sich zu transzendieren, immer wieder über sich selbst hinaus zu wachsen.

Dabei geht es Beauvoir nicht um solche Ziele, wie Germanys next Top-Model bei Heidi Klum zu werden. Beauvoir geht davon aus, dass die menschlichen Lebensentwürfe in einem sozialen und politischen Zusammenhang stehen und sich darauf richten, die Welt zum Besseren zu verändern. Das geschieht beispielsweise dann, wenn die Entwürfe vieler Menschen in die gleiche oder ähnliche Richtung gehen. Wenn sich arbeitende Menschen in Gewerkschaften oder Parteien zusammenschließen, um gegen ihre Ausbeutung anzukämpfen; wenn Sklaven sich gegen die Sklaverei erheben oder die Schwarzen in den USA gegen die Rassentrennung kämpfen. Aber auch jeder Entwurf eines Individuums zählt, wenn er dazu beiträgt, sich selbst und die Welt zu begreifen und verändern zu können.

Die vorausgesetzte Freiheit gibt dem Subjekt die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Das hört sich einfacher an, als es ist. Denn erstens wissen wir ja nicht von Geburt an, wer wir sind, das müssen wir im Lebensprozess erst lernen. Zweitens gibt es immer das Risiko, dass unsere Entwürfe scheitern. Es gibt keine Garantie, dass unsere Lebenspläne gelingen, es kann durchaus sein, dass unsere Entwürfe/Pläne ein ganz anderes Ergebnis zeitigen, als wir uns vorgestellt haben.

Die vorausgesetzte Freiheit realisiert sich nur im Handeln, in der Tätigkeit. Und sie bietet uns nur die Möglichkeit, uns zu transzendieren. Viele Menschen nehmen diese Möglichkeit nicht wahr und verbleiben in der Immanenz. Das heißt, sie führen ein immer gleichförmiges Leben, ohne sich zu entwickeln. Den Grund dafür sieht Beauvoir in der Tendenz des Subjekts, sich in Dingen zu entfremden. Menschen umgeben sich mit Dingen (Häuser, Wohnung, Autos, technische Geräte, Kunst), statt sich um ihre Selbstverwirklichung zu kümmern. Sich in Dingen zu entfremden, ist der bequemere Weg. Denn sich selbst zu verwirklichen, heißt auch, sich gegen Traditionen, herrschende Meinungen, gesellschaftliche Regeln durchzusetzen. Anders zu sein als alle anderen kann sehr einsam machen und unbequem sein, deshalb wählen viele Menschen den einfacheren Weg. Und in einer kapitalistischen Warenproduktionsgesellschaft ist die Verführung, sich mit Dingen zu umgeben, sehr groß.

Beauvoir ist sich durchaus darüber im klaren, dass die Freiheit, sich zu entwerfen, durch gesellschaftlichen Verhältnisse unterschiedlich eingeschränkt wird. Ihre Forderung lautet deshalb: “Ich verlange für die Menschen Gesundheit, Bildung, Wohlbefinden, Muße, auf dass ihre Freiheit nicht im Kampf gegen Krankheit, Unwissenheit, Not aufgezehrt werde.“ (Aus Pyrrhus und Cineas). Und Beauvoir selber hat versucht, ihre Theorie auch zu leben, indem sie sich politisch und sozial engagiert hat, in der Friedensbewegung, gegen den Algerien-Krieg und besonders in der Frauenbewegung.


3. Die Alterität

Eine weitere zentrale Kategorie des Existentialismus ist die Kategorie des Anderen, die Beauvoir von Hegel übernommen hat.

Jedes Subjekt/Selbstbewusstsein strebt danach, sich allein als souveränes zu setzen und erfährt das andere, fremde Subjekt als Bedrohung. Der Mensch bestimmt sich selbst, indem er sich von einem anderen Menschen abgrenzt, sich von ihm in seiner Souveränität bestätigen lässt.

Im Kapitel „Herrschaft und Knechtschaft“ In der Phänomenologie (?) entwickelt Hegel folgende Konstruktion: Zwei Selbstbewußtseine treffen aufeinander, sind sich fremd und bedrohlich und wollen sich gegenseitig vom Anderen in ihrer Souveränität bestätigen lassen. Sie kämpfen miteinander so lange, bis einer gesiegt hat. Am Anfang der Menschheit ging das für einen von beiden meist tödlich aus. Dem überlebenden Selbstbewusstsein fehlte dann aber auch das Andere, das es bestätigt.

Im Laufe der Entwicklung unserer Zivilisation hat an einem bestimmten Punkt der Geschichte eines der Selbstbewußtseine sich dem anderen unterworfen, weil es leben wollte. Um zu Überleben, erkannte ein Selbstbewußtsein die Überlegenheit des Anderen an. So entstand das Herrschaftsverhältnis, in dem das anerkannte Selbstbewusstsein der Herr, das sich unterwerfende Selbstbewusstsein der Knecht wurde.

Diese Hegelsche Modell überträgt Beauvoir auf das Geschlechterverhältnis. Mit dem großen Unterschied, dass zwischen Männern und Frauen nie ein wirklicher Kampf um Bestätigung der Souveränität stattgefunden hat. Ihre These ist, dass die Frauen sich ohne Kampf den Männern unterworfen haben.

Aus dem ursprünglichen Mitsein der ersten Menschengruppen hat sich in einem langen Prozess das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern entwickelt. Dafür nennt Beauvoir zwei Gründe:

1. Der biologische Unterschied

Den einzigen wirklichen Unterschied zwischen Männern und Frauen, den Beauvoir sieht, ist die Tatsache, dass Frauen die Kinder bekommen. Frauen sind von der Arterhaltung ganz anders betroffen als Männer. Dieser Unterschied hatte gravierende Folgen.

In vorhistorischer Zeit waren die Beschwernisse der Fortpflanzung im Kampf gegen die Natur für die Frauen eine ungeheure Behinderung. Schwangerschaft, Geburt und Stillen verminderten die Arbeitsfähigkeit der Frauen, verurteilten sie zu langen Perioden der Passivität, schränkten ihre Beweglichkeit ein. Das Austragen von Kindern ist aber keine Aktivität, in der die Frau sich weiterentwickelt, sondern eine natürliche Funktion. Eine Geburt, ein Kind ist kein Lebensentwurf für die Mutter, in dem sie sich weiter entwickelt oder sich selbst verwirklicht. Deshalb findet die Frau darin keine Bestätigung ihrer Existenz. Sie ist im Gegenteil auf den Schutz und die Versorgung durch die Jagdbeute der Männer angewiesen, weil sie selbst zu eingeschränkt ist, um ihre Kinder alleine ernähren zu können.

Männer dagegen hatten einen ganz anderen Zugriff auf die Welt. Sie konnten sich über weite Strecken bewegen, haben Tiere gejagt und getötet, für Nahrung gesorgt. Männer haben aus Steinen Werkzeuge, aus Baumästen Waffen entwickelt. Sie haben dadurch das rein faktische Leben (sich ernähren, sich fortpflanzen, sich kleiden) zur Existenz entwickelt. Sie haben die Natur bearbeitet und sich die Welt erobert, indem sie immer neue Erfindungen gemacht haben. Der Mann setzte sich Ziele, entwarf Wege dahin. Er verwirklichte sich als Existierender. Und er setzte als Krieger immer wieder sein Leben ein, um die Horde, den Clan zu beschützen und zu verteidigen. Der Gedanke Beauvoirs ist also: Es ist notwendig, die Art zu erhalten, indem man sich fortpflanzt. Aber Fortpflanzung ist nur ein biologischer Akt, eine Schöpfung, die nur eine Wiederholung des gleichen Lebens in verschiedenen Gestalten ist. Fortpflanzung ist keine Tätigkeit, in der der Mensch sich weiterentwickelt. Frauen sind durch ihren Anteil an der Fortpflanzung stärker in eine Wiederholung des immer gleichen Lebens eingebunden. Der männliche Mensch dient der Art, indem er sich aus seinem Tier-Sein transzendiert, die Natur beherrschen lernt, die Zukunft eröffnet. 2. Das Einverständnis Auch Frauen sind, wie Männer, freie Subjekte mit dem Wunsch nach Transzendenz und Entwicklung. Sie wollen nicht die ständige Wiederholung, sondern ebenfalls eine Überschreitung ihrer selbst auf die Zukunft hin. Ihr Unglück ist, dass sie biologisch zur ständigen Wiederholung des Lebens bestimmt sind. Wenn Männer sich also als souverän setzen wollen, stoßen sie bei den Frauen auf Einverständnis, weil Frauen „im innersten ihres Wesens die Bestätigung der männlichen Ansprüche“ finden. In diesem Einverständnis, das von Generation zu Generation wiederholt worden ist, sieht Beauvoir den Anteil der Frauen an ihrer Unterdrückung. Frauen sind in ihren Augen nicht nur Opfer, sondern Mittäterinnen. Ihre Passivität, ihr Leben in Immanenz, in der Wiederholung des immer Gleichen trägt zur eigenen Unterdrückung bei. Die Männer haben die ihnen zugestandene Überlegenheit genutzt, um sich selbst als Subjekt, als Maßstab zu setzen und die Frau als „Das absolut Andere“ zu definieren. Das bedeutet, Männer setzen sich als Subjekt, als wesentlich, sie verkörpern die Aktivität, die Transzendenz, den Geist. Die Frauen dagegen sind unwesentlich, passiv, verkörpern die Immanenz. Sie werden mit der Natur gleichgesetzt, sie sind Fleisch und ein Objekt männlicher Begehrlichkeit. Diese Setzung mag in der prähistorischen Zeit noch keine so große Rolle gespielt haben, als die Menschen sich gegen die übermächtige Natur durchsetzen mussten. Aber spätestens mit der Entstehung des Privateigentums ändert sich das gravierend. Denn mit der Entstehung des Privateigentums wird die Andersheit der Frauen, ihr Objektstatus und ihre Minderwertigkeit und damit gleichzeitig die Überlegenheit der Männer festgeschrieben: In Gesetzen, in der Religion, in der Philosophie. Das fängt an mit Eva, die aus einer Rippe Adams geformt und als seine Ergänzung verstanden wird und hört in der modernen Wissenschaft der Psychoanalyse nicht auf, wo Freud die Frau als mangelhaftes Menschenexemplar definiert, weil ihr der Penis fehlt. In all diesen Beispielen geht es darum zu zeigen, dass Frauen - immer gemessen am männlichen Maßstab - mangelhafte, unvollkommene Menschen sind. Sie sind keine eigenständigen Subjekte, sondern Objekte, sie sind alleine nicht lebensfähig, sondern müssen sich unter den Schutz und die Herrschaft der Männer stellen. Mit der Entstehung des Privateigentums wird die Frau, wie Beauvoir das formuliert, in einen Käfig der Immanenz eingesperrt. Im Laufe der Geschichte hat es immer einzelne Frauen gegeben, die versucht haben, einen eigenen Lebensentwurf zu realisieren und sich aus diesem Käfig zu befreien. Waren die historischen Bedingungen günstig, handelte es sich z.B. um eine Königin wie Elisabeth von England, die über Macht verfügte, oder um Hildegard von Bingen, die reich genug war, um Äbtissin eines Kloster zu werden, dann ist ihnen ein eigener Lebensentwurf auch gelungen. Aber die meisten dieser Versuche sind gescheitert. Denn sich gegen die männliche Ordnung, gegen das Patriarchat zu stellen, wurde streng bestraft. Frauen stießen an enge rechtliche, moralische Grenzen, und wenn das nicht half, wurde auch physische Gewalt angewendet. Daran hat sich übrigens bis heute nichts geändert. In den Medien gibt es immer wieder Beispiele dafür, dass heute noch Frauen, die einen eigenen Lebensentwurf verwirklichen wollen, von ihren Männern, Brüdern, Vätern getötet werden. Und zwar unabhängig davon, ob sie muslimisch oder christlich sind, auf Europa, Amerika oder Asien stammen. Beauvoir sieht also durchaus, dass es für die Frauen nicht einfach war, selbstbestimmte Lebensentwürfe zu verwirklichen. Sie sind über Jahrhunderte konditioniert worden, sich mit der Rolle der Anderen abzufinden. Aber Beauvoir sieht auch, dass viele Frauen zu ihrer Zeit und ich glaube, auch heute noch, sich gerne mit der Rolle der Anderen abgefunden haben, weil sie dadurch auch keine Verantwortung für ihre Leben übernehmen mussten und müssen.