Texte:Simone de Beauvoir und "Lady Catterley"

Aus club dialektik
Version vom 25. April 2009, 11:20 Uhr von Stephan (Diskussion | Beiträge) (Kurze Inhaltsangabe:)

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Simone de Beauvour und "Lady Chatterley"
Eine existentialistische Analyse des Geschlechterverhältnisses am Beispiel des Romans « Lady Chatterley » von T.H. Lawrence
von Uschi Siemens
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1. „Das andere Geschlecht“, seine Zeit und Bedeutung

Mein Vortrag bezieht sich im wesentlichen auf « Das andere Geschlecht » von Simone de Beauvoir und auf den Roman „Lady Chatterley“ von D.H. Lawrence. „Das andere Geschlecht“ wurde 1948 veröffentlicht. Simone de Beauvoir hat über zwei Jahre für dieses Buch recherchiert. Dieses Buch entstand, kurz nachdem Beauvoir zusammen mit Sartre die Theorie des Existentialismus entwickelt hat. Diese Theorie ist entstanden während der Besatzungszeit der Nazis als Reaktion auf die Resistance, die französische Widerstandsbewegung. “Das andere Geschlecht“ ist also nicht aus einer feministischen Sicht geschrieben, sondern Beauvoir analysiert in diesem Buch das Geschlechterverhältnis aus der existentialistischen Perspektive.

2. Der Existentialismus

Um „Das andere Geschlecht“ und vor allem Beauvoirs Kritik an dem Roman von Lawrence verstehen zu können, müssen wir uns als erstes mit einigen elementaren Begriffen und Grundlagen der existentialistischen Theorie vertraut machen.

Die existentialistische Theorie geht davon aus, das der Mensch als freies Subjekt in die Welt geworfen wird. Geworfenheit bedeutet, es gibt keine uns äußerliche Institution (kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun, nicht einmal die Eltern), die unser Leben bestimmen, ihm einen Sinn geben kann. Der Existentialismus geht davon aus, dass jedes Subjekt den Sinn seines Lebens selber bestimmt und damit auch Verantwortung für sein Leben übernimmt.

Das Subjekt bestimmt sein Leben selbst, indem es sich entwirft. Sich entwerfen heißt soviel wie, sich selbst zu entwickeln, sich zu verwirklichen, sich Ziele zu setzen und Wege zu suchen, diese Ziele zu erreichen. Oder auch: sich zu transzendieren, immer wieder über sich selbst hinaus zu wachsen.

Dabei geht es Beauvoir nicht um solche Ziele, wie Germanys next Top-Model bei Heidi Klum zu werden. Beauvoir geht davon aus, dass die menschlichen Lebensentwürfe in einem sozialen und politischen Zusammenhang stehen und sich darauf richten, die Welt zum Besseren zu verändern. Das geschieht beispielsweise dann, wenn die Entwürfe vieler Menschen in die gleiche oder ähnliche Richtung gehen. Wenn sich arbeitende Menschen in Gewerkschaften oder Parteien zusammenschließen, um gegen ihre Ausbeutung anzukämpfen; wenn Sklaven sich gegen die Sklaverei erheben oder die Schwarzen in den USA gegen die Rassentrennung kämpfen. Aber auch jeder Entwurf eines Individuums zählt, wenn er dazu beiträgt, sich selbst und die Welt zu begreifen und verändern zu können.

Die vorausgesetzte Freiheit gibt dem Subjekt die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Das hört sich einfacher an, als es ist. Denn erstens wissen wir ja nicht von Geburt an, wer wir sind, das müssen wir im Lebensprozess erst lernen. Zweitens gibt es immer das Risiko, dass unsere Entwürfe scheitern. Es gibt keine Garantie, dass unsere Lebenspläne gelingen, es kann durchaus sein, dass unsere Entwürfe/Pläne ein ganz anderes Ergebnis zeitigen, als wir uns vorgestellt haben.

Die vorausgesetzte Freiheit realisiert sich nur im Handeln, in der Tätigkeit. Und sie bietet uns nur die Möglichkeit, uns zu transzendieren. Viele Menschen nehmen diese Möglichkeit nicht wahr und verbleiben in der Immanenz. Das heißt, sie führen ein immer gleichförmiges Leben, ohne sich zu entwickeln. Den Grund dafür sieht Beauvoir in der Tendenz des Subjekts, sich in Dingen zu entfremden. Menschen umgeben sich mit Dingen (Häuser, Wohnung, Autos, technische Geräte, Kunst), statt sich um ihre Selbstverwirklichung zu kümmern. Sich in Dingen zu entfremden, ist der bequemere Weg. Denn sich selbst zu verwirklichen, heißt auch, sich gegen Traditionen, herrschende Meinungen, gesellschaftliche Regeln durchzusetzen. Anders zu sein als alle anderen kann sehr einsam machen und unbequem sein, deshalb wählen viele Menschen den einfacheren Weg. Und in einer kapitalistischen Warenproduktionsgesellschaft ist die Verführung, sich mit Dingen zu umgeben, sehr groß.

Beauvoir ist sich durchaus darüber im klaren, dass die Freiheit, sich zu entwerfen, durch gesellschaftlichen Verhältnisse unterschiedlich eingeschränkt wird. Ihre Forderung lautet deshalb: “Ich verlange für die Menschen Gesundheit, Bildung, Wohlbefinden, Muße, auf dass ihre Freiheit nicht im Kampf gegen Krankheit, Unwissenheit, Not aufgezehrt werde.“ (Aus Pyrrhus und Cineas). Und Beauvoir selber hat versucht, ihre Theorie auch zu leben, indem sie sich politisch und sozial engagiert hat, in der Friedensbewegung, gegen den Algerien-Krieg und besonders in der Frauenbewegung.


3. Die Alterität

Eine weitere zentrale Kategorie des Existentialismus ist die Kategorie des Anderen, die Beauvoir von Hegel übernommen hat.

Jedes Subjekt/Selbstbewusstsein strebt danach, sich allein als souveränes zu setzen und erfährt das andere, fremde Subjekt als Bedrohung. Der Mensch bestimmt sich selbst, indem er sich von einem anderen Menschen abgrenzt, sich von ihm in seiner Souveränität bestätigen lässt.

Im Kapitel „Herrschaft und Knechtschaft“ In der Phänomenologie (?) entwickelt Hegel folgende Konstruktion: Zwei Selbstbewußtseine treffen aufeinander, sind sich fremd und bedrohlich und wollen sich gegenseitig vom Anderen in ihrer Souveränität bestätigen lassen. Sie kämpfen miteinander so lange, bis einer gesiegt hat. Am Anfang der Menschheit ging das für einen von beiden meist tödlich aus. Dem überlebenden Selbstbewusstsein fehlte dann aber auch das Andere, das es bestätigt.

Im Laufe der Entwicklung unserer Zivilisation hat an einem bestimmten Punkt der Geschichte eines der Selbstbewußtseine sich dem anderen unterworfen, weil es leben wollte. Um zu Überleben, erkannte ein Selbstbewußtsein die Überlegenheit des Anderen an. So entstand das Herrschaftsverhältnis, in dem das anerkannte Selbstbewusstsein der Herr, das sich unterwerfende Selbstbewusstsein der Knecht wurde.

Diese Hegelsche Modell überträgt Beauvoir auf das Geschlechterverhältnis. Mit dem großen Unterschied, dass zwischen Männern und Frauen nie ein wirklicher Kampf um Bestätigung der Souveränität stattgefunden hat. Ihre These ist, dass die Frauen sich ohne Kampf den Männern unterworfen haben.

Aus dem ursprünglichen Mitsein der ersten Menschengruppen hat sich in einem langen Prozess das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern entwickelt. Dafür nennt Beauvoir zwei Gründe:

1. Der biologische Unterschied

Den einzigen wirklichen Unterschied zwischen Männern und Frauen, den Beauvoir sieht, ist die Tatsache, dass Frauen die Kinder bekommen. Frauen sind von der Arterhaltung ganz anders betroffen als Männer. Dieser Unterschied hatte gravierende Folgen.

In vorhistorischer Zeit waren die Beschwernisse der Fortpflanzung im Kampf gegen die Natur für die Frauen eine ungeheure Behinderung. Schwangerschaft, Geburt und Stillen verminderten die Arbeitsfähigkeit der Frauen, verurteilten sie zu langen Perioden der Passivität, schränkten ihre Beweglichkeit ein. Das Austragen von Kindern ist aber keine Aktivität, in der die Frau sich weiterentwickelt, sondern eine natürliche Funktion. Eine Geburt, ein Kind ist kein Lebensentwurf für die Mutter, in dem sie sich weiter entwickelt oder sich selbst verwirklicht. Deshalb findet die Frau darin keine Bestätigung ihrer Existenz. Sie ist im Gegenteil auf den Schutz und die Versorgung durch die Jagdbeute der Männer angewiesen, weil sie selbst zu eingeschränkt ist, um ihre Kinder alleine ernähren zu können.

Männer dagegen hatten einen ganz anderen Zugriff auf die Welt. Sie konnten sich über weite Strecken bewegen, haben Tiere gejagt und getötet, für Nahrung gesorgt. Männer haben aus Steinen Werkzeuge, aus Baumästen Waffen entwickelt. Sie haben dadurch das rein faktische Leben (sich ernähren, sich fortpflanzen, sich kleiden) zur Existenz entwickelt. Sie haben die Natur bearbeitet und sich die Welt erobert, indem sie immer neue Erfindungen gemacht haben. Der Mann setzte sich Ziele, entwarf Wege dahin. Er verwirklichte sich als Existierender. Und er setzte als Krieger immer wieder sein Leben ein, um die Horde, den Clan zu beschützen und zu verteidigen.

Der Gedanke Beauvoirs ist also: Es ist notwendig, die Art zu erhalten, indem man sich fortpflanzt. Aber Fortpflanzung ist nur ein biologischer Akt, eine Schöpfung, die nur eine Wiederholung des gleichen Lebens in verschiedenen Gestalten ist. Fortpflanzung ist keine Tätigkeit, in der der Mensch sich weiterentwickelt. Frauen sind durch ihren Anteil an der Fortpflanzung stärker in eine Wiederholung des immer gleichen Lebens eingebunden. Der männliche Mensch dient der Art, indem er sich aus seinem Tier-Sein transzendiert, die Natur beherrschen lernt, die Zukunft eröffnet.

2. Das Einverständnis

Auch Frauen sind, wie Männer, freie Subjekte mit dem Wunsch nach Transzendenz und Entwicklung. Sie wollen nicht die ständige Wiederholung, sondern ebenfalls eine Überschreitung ihrer selbst auf die Zukunft hin. Ihr Unglück ist, dass sie biologisch zur ständigen Wiederholung des Lebens bestimmt sind. Wenn Männer sich also als souverän setzen wollen, stoßen sie bei den Frauen auf Einverständnis, weil Frauen „im innersten ihres Wesens die Bestätigung der männlichen Ansprüche“ finden.

In diesem Einverständnis, das von Generation zu Generation wiederholt worden ist, sieht Beauvoir den Anteil der Frauen an ihrer Unterdrückung. Frauen sind in ihren Augen nicht nur Opfer, sondern Mittäterinnen. Ihre Passivität, ihr Leben in Immanenz, in der Wiederholung des immer Gleichen trägt zur eigenen Unterdrückung bei.

Die Männer haben die ihnen zugestandene Überlegenheit genutzt, um sich selbst als Subjekt, als Maßstab zu setzen und die Frau als „Das absolut Andere“ zu definieren. Das bedeutet, Männer setzen sich als Subjekt, als wesentlich, sie verkörpern die Aktivität, die Transzendenz, den Geist. Die Frauen dagegen sind unwesentlich, passiv, verkörpern die Immanenz. Sie werden mit der Natur gleichgesetzt, sie sind Fleisch und ein Objekt männlicher Begehrlichkeit.

Diese Setzung mag in der prähistorischen Zeit noch keine so große Rolle gespielt haben, als die Menschen sich gegen die übermächtige Natur durchsetzen mussten. Aber spätestens mit der Entstehung des Privateigentums ändert sich das gravierend. Denn mit der Entstehung des Privateigentums wird die Andersheit der Frauen, ihr Objektstatus und ihre Minderwertigkeit und damit gleichzeitig die Überlegenheit der Männer festgeschrieben: In Gesetzen, in der Religion, in der Philosophie.

Das fängt an mit Eva, die aus einer Rippe Adams geformt und als seine Ergänzung verstanden wird und hört in der modernen Wissenschaft der Psychoanalyse nicht auf, wo Freud die Frau als mangelhaftes Menschenexemplar definiert, weil ihr der Penis fehlt. In all diesen Beispielen geht es darum zu zeigen, dass Frauen - immer gemessen am männlichen Maßstab - mangelhafte, unvollkommene Menschen sind. Sie sind keine eigenständigen Subjekte, sondern Objekte, sie sind alleine nicht lebensfähig, sondern müssen sich unter den Schutz und die Herrschaft der Männer stellen.

Mit der Entstehung des Privateigentums wird die Frau, wie Beauvoir das formuliert, in einen Käfig der Immanenz eingesperrt.

Im Laufe der Geschichte hat es immer einzelne Frauen gegeben, die versucht haben, einen eigenen Lebensentwurf zu realisieren und sich aus diesem Käfig zu befreien. Waren die historischen Bedingungen günstig, handelte es sich z.B. um eine Königin wie Elisabeth von England, die über Macht verfügte, oder um Hildegard von Bingen, die reich genug war, um Äbtissin eines Kloster zu werden, dann ist ihnen ein eigener Lebensentwurf auch gelungen. Aber die meisten dieser Versuche sind gescheitert. Denn sich gegen die männliche Ordnung, gegen das Patriarchat zu stellen, wurde streng bestraft. Frauen stießen an enge rechtliche, moralische Grenzen, und wenn das nicht half, wurde auch physische Gewalt angewendet.

Daran hat sich übrigens bis heute nichts geändert. In den Medien gibt es immer wieder Beispiele dafür, dass heute noch Frauen, die einen eigenen Lebensentwurf verwirklichen wollen, von ihren Männern, Brüdern, Vätern getötet werden. Und zwar unabhängig davon, ob sie muslimisch oder christlich sind, auf Europa, Amerika oder Asien stammen.

Beauvoir sieht also durchaus, dass es für die Frauen nicht einfach war, selbstbestimmte Lebensentwürfe zu verwirklichen. Sie sind über Jahrhunderte konditioniert worden, sich mit der Rolle der Anderen abzufinden. Aber Beauvoir sieht auch, dass viele Frauen zu ihrer Zeit und ich glaube, auch heute noch, sich gerne mit der Rolle der Anderen abgefunden haben, weil sie dadurch auch keine Verantwortung für ihre Leben übernehmen mussten und müssen.


4. Der Roman „Lady Chatterley“

Ein großer Bereich, in dem der Mythos von der Frau als der Anderen in verschiedenen Varianten festgeschrieben wurde, ist die Literatur. In unzähligen Romanen wird die Frau als inferiores, unselbständiges Wesen dargestellt, das in der Ehe versorgt werden muss. Die weiblichen Romanfiguren finden ihre Erfüllung im Dasein als Ehefrau und Mutter und dienen als Vorbild für alle anderen Frauen.

Simone de Beauvoir hat sich u. a. mit den Romanen von T.H. Lawrence beschäftigt und sie aus ihrer existentialistischen Perspektive kritisiert.

„Lady Chatterley“ ist in erster Linie eine großartige Darstellung des Eindringens der Arbeiterklasse in die romantische Idylle des aristokratischen Feudalismus durch die Industrialisierung der Kohlegruben. Aber er ist auch, wie Simone de Beauvoir das sieht, eine Männerphantasie über „den phallischen Stolz“.

Kurze Inhaltsangabe:

Constance Reid, Tochter aus einem vermögenden Elternhaus, heiratet 1917 den Aristokraten Lord Clifford Chatterley. Die beiden sind 25 Jahre alt. Clifford dient als Offizier im Krieg und wird 1918 durch eine Bombe zerfetzt. Er überlebt, ist aber von der Körpermitte abwärts gelähmt und kann sich nur noch in einem Rollstuhl bewegen. Das Paar zieht auf den Familiensitz der Chatterleys, nach Wragby in Mittelengland. Wragby ist ein großer feudaler Besitz, auf dem auch mehrere Kohlegruben liegen.

Clifford lässt sich von seiner Behinderung nicht unterkriegen; er versucht es zunächst mit dem geistigen Leben, wird Schriftsteller und hat auch Erfolg damit. Später kümmert er sich um den Ausbau und die Modernisierung seiner Kohlegruben, um damit Profit zu machen. Conny hingegen hat kein eigenes Betätigungsfeld. Sie pflegt hingebungsvoll ihren Mann, hilft ihm beim Abtippen seiner Manuskripte, steht für Gespräche zur Verfügung und bedient seine Gäste. Sie leidet unter ihrer unerfüllten Sexualität bis hin zur Krankheit und Todessehnsucht. Bei ihren ausgedehnten Spaziergängen über den Feudalbesitz trifft sie auf den Wildhüter Oliver Mellors, einen Bediensteten ihres Mannes. Zwischen Mellors und Conny entwickelt sich eine heftige sexuelle Beziehung, in der Conny ihr „wahres“ Frausein erlebt und von der sie schwanger wird.

Clifford möchte gerne einen Erben für seinen Besitz haben. Er hat seiner Frau vorgeschlagen, ein Verhältnis mit einem anderen Mann einzugehen, selbstverständlich diskret. Er wäre bereit, das Kind eines anderen Mannes als sein eigenes zu akzeptieren. Selbstverständlich denkt er dabei an einen Mann seiner eigenen Klasse, nicht an einen „Bediensteten“. Conny fährt mit ihrer Schwester und ihrem Vater nach Italien in den Urlaub. Um den Konventionen zu genügen, soll es so aussehen, als hätte sie dort eine Affäre gehabt und kehre schwanger nach Hause zurück.

Während ihrer Abwesenheit entwickelt sich in Wragby ein Skandal. Denn: Oliver Mellors ist ebenfalls verheiratet und hat ein Kind. Seine Frau hat ihn während seines Kriegsdienstes mit einem anderem Grubenarbeiter betrogen und verlassen. Als Mellors sich scheiden lassen will, kehrt seine Frau zu ihm zurück. Sie lehnt die Scheidung ab. Sie findet in seinem Haus Hinweise darauf, dass Mellors ein Verhältnis mit einer anderen Frau gehabt hat, nämlich mit Lady Chatterley und macht dieses Wissen öffentlich. Clifford und seine Anwälte unterdrücken den Skandal. Mellors wird entlassen und geht nach London. Dort treffen sich Conny und Mellors und beschließen, sich beide scheiden zu lassen und dann zusammen zu leben. Am Ende des Romans arbeitet Mellors auf einem Bauernhof in den Midlands und Conny erwartet bei ihrer Familie in Schottland ihre Niederkunft. Beide warten darauf, dass die Hindernisse für ihr Zusammenleben aus dem Weg geräumt werden.

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Das ist eine kurze Skizze des Handlungsablaufes. Was verbirgt sich aus existentialistischer Sicht gesehen dahinter?

Der Autor schildert zunächst zwei Männer, die sich aktiv entwerfen und transzendieren. Clifford kompensiert seine fehlende Männlichkeit durch neue Lebensentwürfe. Es sind zwar aus existentialistischer Sicht „falsche“ Lebensentwürfe, weil er sowohl mit der Schriftstellerei als auch mit der Modernisierung der Kohlegruben (und der Ausbeutung der Arbeiter) nur nach Erfolg und Profit strebt. Aber er bleibt nicht passiv, er macht etwas aus sich. Und selbstverständlich wünscht er sich einen Erben, dem er seinen Reichtum vermachen kann. Conny ist für ihn das Objekt, das ihm diesen Wunsch erfüllen kann. Sie soll sich von einem anderen Mann schwängern lassen und er wird dieses Kind als seinen legitimen Erben anerkennen. Und damit seiner Tätigkeit eine Zukunft eröffnen.

Der Lebensentwurf Oliver Mellors´ sieht anders aus. Auch er hat im Krieg in Indien gedient. Sein Offizier war ihm sehr zugetan und wollte ihm Aufstiegsmöglichkeiten in die Mittelklasse eröffnen. Diesen Lebensentwurf hat Mellors aber abgelehnt. Er will nicht in dieser Welt der falschen Konventionen und den Geldes leben. Er ist zufrieden damit, als Wildhüter die Natur bearbeiten und nach seinem Willen gestalten zu können. Er hat sich zu einem Subjekt transzendiert, dass mit sich selbst in seiner Einsamkeit gut leben kann. Diese Einsamkeit ist „die letzte Freiheit seines Lebens“ (S. 133). Mellors ist zwar ein Bediensteter Clifford, aber ein stolzer Bediensteter. Er ist sich seiner Männlichkeit bewusst und weiß auch um die Abhängigkeit seines Herrn von ihm.

Im 13. Kapitel des Romans lässt sich nachlesen, wie Clifford auf einem Spaziergang Conny darüber aufklärt, dass seine Bergarbeiter von ihm abhängig sind, weil sie keine andere Möglichkeit haben, ihre Existenz zu fristen, als in seinen Kohlegruben zu arbeiten. Er hingegen sei nicht von seinen „Knechten“ abhängig, weil er noch andere Möglichkeiten des Geldverdienens hat. Als aber sein elektrischer Rollstuhl versagt, muss er einen seiner „Knechte“, nämlich Oliver Mellors herbeirufen und ihn darum bitten, ihn nach Hause zu schieben. Und Oliver Mellors lässt durchaus erkennen, dass ihm die Abhängigkeit seines Herrn von ihm bewusst ist.

Mellors ist sich seiner Männlichkeit bewusst und sie symbolisiert sich in seinem Phallus. Als „wahrer Mann“ erkennt er die sexuelle Unerfülltheit Connys. Er wird aktiv, er ergreift die Initiative, als Conny angesichts gerade geschlüpfter Fasanenkücken in Tränen ausbricht. Er nimmt sie mit in seine Hütte und schläft mit ihr. Er rettet mit seiner Männlichkeit Lady Chatterley aus ihrer unfruchtbaren Beziehung zu ihrem Mann. Er bringt ihr bei, dass erst zügellose Sinnlichkeit und Leidenschaft den Geschlechtsakt zu einem kosmischen Erlebnis werden lassen, in dem das Paar sozusagen über sich als Paar hinauswächst. Allerdings gibt es für dieses kosmische Erlebnis eine Bedingung: Conny muss sich selbst aufgeben, sie muss sich verlieren, sich auslöschen, seine Sklavin werden. Denn erst, wenn sie sich klein und anschmiegsam macht, wird sie begehrenswert für Mellors. Der Lohn für diese Selbstaufgabe ist die Wiedergeburt als „wahre Frau“. Literarisch ausgedrückt hört sich das folgendermaßen an: „Er nahm sie wieder in seine Arme und zog sie an sich, und plötzlich wurde sie klein in seinen Armen, klein und schmiegsam. Alles war verflogen, und schmolz in herrlichem Frieden dahin. Und während sie in seinen Armen verging, klein und wunderbar, wurde sie unendlich begehrenswert für ihn; all seine Blutgefäße siedeten vor wallender, doch zärtlicher Begierde nach ihr, nach ihrer Sanftheit, nach der schmerzvollen Schönheit, mit der sie in seinen Armen lag und die in sein Blut überfloss. (...) Sie wagte es, alles hinzugeben, ihr ganzes Selbst, und sich von der Flut davontragen zu lassen. Und ich war, als sei sie wie das Meer, nichts als dunkles, steigendes und fallendes Gewoge, von einem mächtigen Strom getragen geriet ihre ganze Dunkelheit in Bewegung, und sie war das Weltmeer, das in seiner dunklen, stummen Schwere dahinrollte. Und auf dem Grund ihres Inneren teilten sich die Tiefen und wogten auseinander von dem Mittelpunkt sanften Eindringens aus, als der Taucher tiefer in sie eindrang, immer tiefer, sie immer tiefer berührte, und tiefer, tiefer, tiefer wurde sie bloßgelegt, und machtvoller rollten die Wogen ihres Seins dahin, einem fremden Ufer zu und deckten sie auf, und näher und näher tauchte das fühlbare Unbekannte, und immer weiter rollten die Wogen ihres Seins fort von ihr, ließen sie zurück, bis jäh, in sanftem, schauerndem Erbeben, der Kern all ihres Plasmas getroffen wurde – sie sich getroffen wusste – und die Vollendung über sie kam und sie verging. Sie verging, sie war nicht mehr, sie wurde geboren: ein Weib.“ (S. 270) Conny muss sich, um eine „wahre Frau“ zu werden, tatsächlich preisgeben, sich in Mellors einem fremden Bewusstsein und Willen unterordnen. Erst dann erleben beide kosmische Momente im gleichzeitigen Orgasmus und erst beim gleichzeitigen Organismus wird Conny schwanger. Conny hingegen ist die Inkarnation der Passivität und Immanenz. Sie hat keinen eigenen Lebensentwurf, keine Pläne, sich selbst zu verwirklichen. In der Ehe mit Clifford gibt sie sich selbst auf, um ihn zu unterstützen und zu bestätigen in dem, was er tut. Ihr einziger Wunsch ist, ein Kind zu haben. Diesen Wunsch kann ihr der Wildhüter erfüllen, aber wiederum nur um den Preis der absoluten Selbstaufgabe. Die einzige Aktivität, die einzige Entscheidung, die Lady Chatterley trifft, ist, dass sie nicht nach Wragby zurückgehen will und ihr Kind als legitimen Erben der Chatterleys zur Welt bringen will. Sie will sich scheiden lassen und mit Mellors zusammenleben, als Mutter seiner Kinder. Und das heißt wiederum, sie will selbst in der Situation der Anderen, des Objekts, der Immanenz bleiben. Was Simone de Beauvoir an diesem Mythos Frau allgemein und an diesem Roman kritisiert, ist folgendes: 1. Lawrence identifiziert wahre Männlichkeit mit dem Phallus. In ihm drückt sich der Lebenswille aus, er ist das Mittel des Mannes, sich zu transzendieren. Im Phallus müssen Denken und Handeln ihren Ursprung haben. Das heißt aber auch, Frauen können nicht denken und handeln, weil sie keinen Phallus haben. 2. Beide Männer setzen sich selbst als Subjekt und die Frau, Conny, als Objekt. Für Clifford ist sie das Objekt, durch das er sich eine Zukunft eröffnen kann, indem sie – wenn auch von einem fremden Mann – ihm einen Sohn und Erben schenkt. Für Mellors ist sie das Objekt, durch das er sich transzendieren kann, aber um den Preis ihrer völligen Selbstaufgabe. 3. Die Frau (Conny) ist die Passivität, die auf jede persönliche Transzendenz verzichtet und sich darauf beschränkt, der Transzendenz des Mannes Nahrung zu geben, ihn zu bestätigen. Und sie wählt selbst das Leben als das Andere, als Immanenz. 4. Der Mythos Frau schreibt die Unterteilung der Menschen in zwei Kategorien von Individuen, Mann und Frau, fest. Zwischen dem Mann als Subjekt, als dem Wesentlichen und der Frau als dem Anderen, dem Unwesentlichen, dem Objekt kann aber keine wirklich wechselseitige Beziehung entstehen. Der Mythos leugnet die reale Erfahrung, das Frauen auch Subjekte sind.

Schlusswort Simone de Beauvoir hat in ihrem Memoiren und in Interviews 20 Jahre nach Erscheinen von „Das andere Geschlecht“ zugegeben, dass sie dieses Buch als bürgerliche Intellektuelle geschrieben hat, die sich selbst als Frau nie diskriminiert gefühlt hat. Erst beim Schreiben sei ihr das wirkliche Ausmaß der Frauenunterdrückung zu Bewusstsein gekommen. In „Alles in allem“ schreibt sie 1972: „Was die Theorie anlangt, würde ich, wenn ich heute „Le deuxieme sexe“ schriebe, der Spannung zwischen dem Selbst und dem Anderen eine materialistische statt einer idealistischen Basis geben. Ich würde die Ablehnung und die Unterdrückung des Anderen nicht auf den Antagonismus der verschiedenen Arten des Bewusstseins, sondern auf die ökonomische Basis der „Knappheit“ gründen. Ich habe auch schon gesagt, dass der Gedankengang des Buches dadurch nicht verändert würde: Alle männliche Ideologien zielen darauf ab, die Unterdrückung der Frau zu rechtfertigen, und die Frau ist durch die Gesellschaft auf eine Weise konditioniert, dass sie sich damit abfindet. „Man wird nicht als Frau geboren, man wird erst dazu“: Ich stehe zu weiterhin zu dieser Formel, die einen Leitgedanken in „Le deuxieme sexe“ zum Ausdruck bringt. Gewiss bestehen zwischen dem weiblichen und dem männlichen Exemplar des Menschen genetische, endokrine und anatomische Unterschiede: Sie sind jedoch nicht so stark, als dass sie das „Frausein“ bestimmen könnten, das eindeutig eine von der Kultur geschaffene Konstruktion und nicht eine Naturgegebenheit ist. Meine These stimmt und bedarf nur einer Ergänzung: „Man wird nicht als Mann geboren, man wird erst dazu.“ Auch das Mannsein ist keine von Anfang an bestehende Gegebenheit.“ Ich denke, bei aller Kritik, die man an diesem Buch haben kann, es ist auch heute noch eine Aufforderung zum Handeln, eine Aufforderung an Frauen und Männer, sich selbst zu setzen, sich selbst zu verwirklichen, aber in gegenseitiger Anerkennung, sozusagen auf gleicher Augenhöhe.