Texte:Todesstrafe: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 2. Juni 2007, 15:06 Uhr

Thema "Todesstrafe"
entstanden aus einer Onlinediskussion
von Stephan Siemens und Sanne
Druck Version


Der Diskussionsstart

Liebe dialektikerInnen

wie bereits in meiner mail angekündigt bin ich vor kurzem nur knapp einer unerfreulichen diskussion um die todesstrafe entkommen. seitdem habe ich mir einige gedanken zu dem thema gemacht und bin auf einige fragen gestoßen, die mir unklar sind. vielleicht könnt ihr ja etwas damit anfangen, einen schlauen gedanken beitragen oder weitere fragen aufwerfen...

daß ich prinzipiell gegen die todesstrafe bin ist mir völlig klar, habe mir bisher allerdings keine gedanken darüber gemacht warum eigentlich.das hat mir eine diskussion sowieso schonmal ziemlich erschwert. ich habe dann angefangen nach argumenten zu suchen. diese fragen sind mir dabei in den kopf gekommen:

  • schließen sich "gegen-mord-sein" und "für die todestrafe sein" nicht eigentlich aus? macht es in diesem zusammenhang einen unterschied, ob eine einzelne person mordet oder ein kollektiv?
  • was für eine rolle spielen die konzepte von schuld und sühne in der diskussion um die todesstrafe? woher kommt das konzept eigentlich?
  • gibt es noch eine andere ebene außer der moralischen auf der man/frau das thema todesstrafe diskutieren kann? ich hab so ein diffuses unwohlsein, wenn ich in einer diskussion mit todesstrafenbefürworterInnen auch die moralische keule schwingen muß...
  • und wer legt eigentlich fest, welche verbrechen mit der todesstrafe bestraft werden und welche nicht? "die gesellschaft"?????

fragen über fragen!

hoffe, daß die eine oder der andere was damit anfangen kann.

herzliche grüße

Sanne

Stephans Beitrag

Liebe Sanne!

Schwierige Fragen wirfst Du da auf. Soweit ich dazu etwas sagen kann, will ich das tun.

Zunächst sind da zwei Fragen zu unterscheiden: Wie argumentiert man unter den Bedingungen existierenden Rechts, gewissermaßen reformistisch, und wie revolutionär, also verbunden mit der Vorstellung, den Zustand des Rechts und des Staates überhaupt zu überwinden. Ich tue es nunmehr, weil das die Diskussion charakterisiert zu haben scheint, unter reformistischen Bedingungen, also unter Anerkennung existierenden Rechts, denn unter der Bedingung der Beseitigung von Rechtssystemen kann es selbstverständlich auch keine Todesstrafe geben (Da trägt das Argument "Todesstrafe" dazu bei, das Rechtssystem selbst zu kritisieren.)

1. Ich denke, ich tue mir keinen Gefallen, wenn ich die Todesstrafe mit einem Mord durch die Gesellschaft vergleiche.

Ich denke, dass da eine Grundweiche eigenartig gestellt wird, weil dies eine radikale Ablehnung der Todesstrafe zu sein scheint, aber vielleicht gerade mit den Schwierigkeiten zusammenhängt, in die Du gekommen bist, wenn ich mir die Diskussion richtig vorstelle. Ein Mord wäre die Todesstrafe dann, wenn das Ziele einer juristischen Sanktion die Rache wäre. Im Falle etwa einer sizilianischen Vendetta, wo Gleiches mit Gleichem vergolten wird, wird der Mord mit einem Mord gesühnt. Denn dort regiert die Rache. Die Strafe ist in Wahrheit keine Strafe, und auch keine rechtliche Reaktion, sondern Rache und eine private Aktion des oder der Geschädigten. Dem Täter oder der Täterin soll geschehen, was er oder sie anderen angetan hat, und so ähnlich waren auch die ersten Rechtssysteme gestrickt, etwa Hammurabi oder Teile des alten Testaments. Aber da ist der Rechtscharakter noch nicht als solcher hervorgetreten. Das einzig Rechtliche an diesen Gesetzen ist die Durchsetzung des Staates als der entscheidenden und vollziehenden Instanz bei Verbrechen. Davor war die Ahndung von Verbrechen eine Sache etwa der Familie der Betroffenen. Der Rechtsstatus einer Gesellschaft fängt zwar auch so an, aber das ist eigentlich mehr die Legalisierung eines Zustandes des Unrechts. In einem Rechtssystem mordet der Staat nicht, selbst dann nicht, wenn die Todesstrafe gilt.

2. In einem Rechtssystem wird versucht, aufgrund einer Wahrheit ein Urteil über einen möglichen Verbrecher oder eine Verbrecherin zu fällen.

Eine solche Verurteilung kann zwar falsch sein, aber sie stellt ein Verfahren dar, das nicht mit Morden identifiziert werden kann. Denn der Mord geschieht wesentlich aus niedrigen Motiven. (Ausnahme ist der gerne diskutierte "Tyrannenmord".) Niedrige Motive sind zugleich private Motive. Ein Mord verletzt die durch den Staat garantierte Ordnung aus niedrigen und also auch privaten Motiven. Er stellt eine Straftat dar, und ist nicht das Resultat einer staatlich legitimierten Verurteilung. Die dient vielmehr dazu, den rechtlichen Zustand wiederherzustellen. Das Recht verschafft sich Geltung, indem es seine Verletzung beantwortet. Diese Geltung ist durch das Verbrechen beeinträchtigt. Würde nichts geschehen, so könnte das Recht sich auf Dauer nicht durchsetzen und halten lassen. Zur Aufrechterhaltung des Rechtszustandes bedarf es der Sanktion von Verbrechen. Die Verbrechen müssen auf autorisierte Weise festgestellt werden, indem ein Urteil am Ende eines "fairen" Verfahrens ausgesprochen wird. ("Fair" bedeutet, dass der Täter oder die Täterin das Recht hat, sich zu verteidigen und sich dazu eines Anwalts bedienen darf, der weiß, wie man sich vor Gericht verteidigt.) Dieses Urteil stellt fest, wie das Verbrechen wohl abgelaufen ist, wer es verübt hat, und dass derjenige oder diejenige, der oder die es verübt hat, schuldig und schuldfähig ist. Ihm oder wird dann zur Wiederherstellung des Rechts eine Strafe zugemessen.

3. Wie aber kann das Recht auf diese Weise wiederhergestellt werden?

Nun, das kann letztlich nur auf zweierlei Weise geschehen:

a) Man kann dem "Verbrecher" oder der "Verbrecherin" die Schuldfähigkeit absprechen. In diesem Falle ist der Täter oder die Täterin kein Rechtssubjekt mehr, aber nicht infolge einer Strafe, sondern weil es von Anfang an falsch war, ihm oder ihr den Status eines Rechtssubjekts, also einer "Person", wie das so schön heißt, zuzuweisen. (Hier verknüpft sich die Sache auf das Wunderbarste mit der moralischen Bewertung von pränatalen Eingriffen, und man sieht, dass man da mit dem "Person"-Begriff alles Mögliche machen kann.) Wenn er oder sie keine "Person" ist, dann ist er oder sie auch kein Rechtssubjekt, also nicht schuldfähig. Man kann ihm oder ihr seine oder ihre Tat nicht zurechnen, so dass diese Tat keine rechtsrelevante Tat ist, sondern so etwas wie ein bloß natürliches Ereignis. Die Tat ist dann niemandem zuzurechnen. Denn wer sie begangen hat, war nicht rechtsfähig, nicht schuldfähig, keine Person. So betrachtet ist zwar der oder die von der Tat Betroffene verletzt worden, aber das Recht ist nicht verletzt worden. Das Recht muss deswegen auch nicht wiederhergestellt werden. Eine elegante Variante, um eine Strafe herumzukommen, aber mit einem großen Haken: Wer keine Person hat, hat auch keine Freiheit. Er oder sie wird betrachtet als jemand, der oder die nicht in der Lage ist, sein oder ihr Verhalten zu kontrollieren. Er oder sie wird betrachtet gewissermaßen als eine zu schützende und zu bewahrende Sache, die man in erster Linie vor sich selbst schützen muss. Die Eleganz geht also auf Kosten des Täters oder der Täterin.

b) Die zweite Möglichkeit ist die, den "verwirkten Zustand der Person" zu heilen oder wieder herzustellen. Wer ein Verbrechen begangen hat, hat den Zustand eines Rechtssubjekts, einer Person verwirkt. Die Wiederherstellung des Rechts kann im Falle einer Rechtsfähigkeit des Täters oder der Täterin nur dadurch erreicht werden, dass die durch das Verbrechen verwirkte Rechtsfähigkeit durch eine Bestrafung wiederhergestellt wird. Hegel nennt das die "begnadigende Wirkung der Strafe". Die Strafe richtet sich zugleich auch gegen sich selbst, indem sie zu Ende geht (ähnlich wie die Bewegung der Bewegung). Sie tut das, indem sie den Verbrecher oder die Verbrecherin "läutert" und so den Zustand der Rechtssubjektivität an ihm oder an ihr wiederherstellt, indem sie die Rechtsfähigkeit auch des dann ehealigen Verbrechers und der dann ehemaligen Verbrecherin zum Ziel hat und sie auch erreicht.

4. Die Strafe richtet sich gegen sich selbst und sie muss das tun, weil nur so der Rechtszustand wiederhergestellt werden kann.

Deswegen muss die Strafe in der Zeit sein und zu einem Ende kommen. Nur so kann der Rechtszustand wieder hergestellt werden, der Täter oder Täterin "geläutert" und wieder in das Rechtssystem aufgenommen werden. Erst dann aber ist der Rechtszustand wieder hergestellt und die Tat "gesühnt". Zur Sühne gehört nicht nur die negative Seite der Strafe, sondern auch die Seite, die sich negativ gegen die negative Seite richtet, denn sonst würde in der ewigen Sühne das Unrecht ebenso ewig fortbestehen. Die Strafe muss sich also gegen sich selbst richten, und das kommt dadurch zum Ausdruck, dass sie endlich ist. Endlich kann sie aber nur sein, wenn sie nicht endgültig ist. Also verbietet sich die Todesstrafe um der Rechtlichkeit willen. Denn daran hängt die Anerkennungsfähigkeit des Rechts, die nicht auf die gewalttätige Durchsetzung durch den Staat beschränkt sein kann, sondern auch der moralischen Anerkennung bedarf. Denn wie gesagt, der Rechtszustand ist nicht ein solcher, der auf der Ebene von Rache oder bloßer Verurteilung der Menschen steht. Er ist ein Fortschritt hin zur Menschlichkeit der menschlichen Beziehungen, auf die auch der Verbrecher oder die Verbrecherin ein Recht hat. Denn das Recht muss auch im Einzelfall das Unrecht besiegen, mit einer Ausnahme: Irrtümer gibt es immer wieder. Verurteilungen zu Unrecht lassen sich aufgrund der Endlichkeit und Irrtumsfähigkeit des Menschen nicht ausschließen.

5. Ein Argument kantianischer Prägung wird daraus abgeleitet, dass der Fall einer Fehlverurteilung nie auszuschließen ist.

Deswegen dürfe kein Mensch die Todesstrafe aussprechen, weil diese Strafe im Falle einer fälschlichen Verurteilung in keiner Weise eingeschränkt oder zurückgenommen werden kann. Zur Not kann man oder frau sich auch dieses Arguments bedienen, weil es auch autoritäre Charaktere beeindruckt. Die Pointe dieses Arguments ist die endliche Einsichtsfähigkeit des Menschen in die Wahrheit (was ebenfalls einem autoritären Charakter einleuchtet). Aber es ist umgekehrt: Wir sehen die Wahrheit ein, dass die Todesstrafe dem Charakter einer rechtlichen Bestrafung nicht gerecht wird. Es ist nicht Mangel an Einsicht, die uns Menschen daran hindert, die Todesstrafe auszusprechen und vollziehen. Es ist im Gegenteil Ausdruck einer Einsicht in den Charakter der rechtlichen Bestrafung, die eine Verurteilung von Verbrechern oder Verbrecherinnen zum Tode als falsch und nicht rechtsgemäß erweist. Eine Strafe ist nur legitim, wenn sie den Rechtszustand wiederherstellt, und also nicht nur die Rechtsordnung, sondern auch die Rechtssubjektivität des Rechtssubjekts.