VI. Kostproben der "kritischen" Anwendung des "etablierten Vernunfttypus": Unterschied zwischen den Versionen

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(VI Kostproben der "kritischen Anwendung" des "etablierten Vernunfttypus")
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Dieses Aergument besticht dadurch, dass man nicht Anhänger seiner selbst sein kann. Es hat daher rein formalen Charakter und kann immer angewandt werden. Platon war kein Platonist, Thomas von Aquin war kein Thomist etc. Im Falle des
 
Dieses Aergument besticht dadurch, dass man nicht Anhänger seiner selbst sein kann. Es hat daher rein formalen Charakter und kann immer angewandt werden. Platon war kein Platonist, Thomas von Aquin war kein Thomist etc. Im Falle des
 
Marxismus aber geht es weiter, weil es sich gegen den parteilichen Charakter der Theorie von Marx richtet und in Wortspielen die Botschaft vermittelt: Entweder Du bist Partei oder Du treibst Wissenschaft. Beides geht nicht.
 
Marxismus aber geht es weiter, weil es sich gegen den parteilichen Charakter der Theorie von Marx richtet und in Wortspielen die Botschaft vermittelt: Entweder Du bist Partei oder Du treibst Wissenschaft. Beides geht nicht.
Dieses Argument schafft es noch nicht einmal zum "etablierten Vernunfttypus", wenn man die evangelische Theologie nicht als vernünftig akzeptiert. Wenn natürlich doch, dann liegt auch hier ein Beispiel dieses Typus vot. Aber das setze ich nicht voraus, deswegen dies nur in Klammer.)
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Dieses Argument schafft es noch nicht einmal zum "etablierten Vernunfttypus", wenn man die evangelische Theologie nicht als vernünftig akzeptiert. Wenn natürlich doch, dann liegt auch hier ein Beispiel dieses Typus vot. Aber das setze ich nicht voraus, deswegen dies nur in Klammern.)
   
 
Nach diesem Einstieg werden wir mit den Argumentationsformen des "etablierten Vernunfttypus "vertraut gemacht. Wir folgen dem Abschnitt "I.1. Die ontologische deterministische Tendenz" lückenlos. Er beginnt mit den Worten: "Der wissenschaftliche Sozialismus wird (von Friedrich Engels, Anmerkung von Stephan Siemens) konzipiert als ontologisches System, 'Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs'. Die Materialistsiche Dialektik fungiert hier als 'Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Menschengeschichte und des Denkens'; die Natur dient Engels dabei als 'Probe auf die Dialektik'. Eine falsche Analogisierung historisch gesellschaftlicher Prozesse mit Naturphänomenen wird schon allein dadurch vorgenommen, dass in der Engelsschen Erläuterung der Grundzüge der Dialektik gerade die zwischen Subjekt und Objekt fehlt."
 
Nach diesem Einstieg werden wir mit den Argumentationsformen des "etablierten Vernunfttypus "vertraut gemacht. Wir folgen dem Abschnitt "I.1. Die ontologische deterministische Tendenz" lückenlos. Er beginnt mit den Worten: "Der wissenschaftliche Sozialismus wird (von Friedrich Engels, Anmerkung von Stephan Siemens) konzipiert als ontologisches System, 'Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs'. Die Materialistsiche Dialektik fungiert hier als 'Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Menschengeschichte und des Denkens'; die Natur dient Engels dabei als 'Probe auf die Dialektik'. Eine falsche Analogisierung historisch gesellschaftlicher Prozesse mit Naturphänomenen wird schon allein dadurch vorgenommen, dass in der Engelsschen Erläuterung der Grundzüge der Dialektik gerade die zwischen Subjekt und Objekt fehlt."

Version vom 9. Oktober 2013, 09:40 Uhr

VI Kostproben der "kritischen Anwendung" des "etablierten Vernunfttypus"

Wir nutzen den Aufsatz "Zwischen Marx, Marxismus und Marxismen - Lesarten der Marxschen Theorie", um einige Früchte der "kritischen" Anwendung des "etablierten Vernunfttypus" zur Kenntnis zu nehmen. Zunächst wird uns mitgeteilt, dass der Marxismus - die parteioffizielle Doktrin im Unterschied zu den wesrtlichen "Marxiusmen" - eine "restringierte Marx-Lektüre" anbietet. Er stamme gar nicht von Marx, sondern von Friedrich Engels, und müßte daher eigentlich Engelsismus heißen.

(Dieses Argument - ein Klassiker existentialistischer Marx-Kritik verdankt seine Herkunft der evangeischen Theologie, in der es zuerst Anwendung fand. Jesus sei - so meint der Theologe Bultmann - kein Christ gewesen, da er nicht an sich selbst geglaubt habe. Der erste Christ sei Paulus gewesen. Dieses Aergument besticht dadurch, dass man nicht Anhänger seiner selbst sein kann. Es hat daher rein formalen Charakter und kann immer angewandt werden. Platon war kein Platonist, Thomas von Aquin war kein Thomist etc. Im Falle des Marxismus aber geht es weiter, weil es sich gegen den parteilichen Charakter der Theorie von Marx richtet und in Wortspielen die Botschaft vermittelt: Entweder Du bist Partei oder Du treibst Wissenschaft. Beides geht nicht. Dieses Argument schafft es noch nicht einmal zum "etablierten Vernunfttypus", wenn man die evangelische Theologie nicht als vernünftig akzeptiert. Wenn natürlich doch, dann liegt auch hier ein Beispiel dieses Typus vot. Aber das setze ich nicht voraus, deswegen dies nur in Klammern.)

Nach diesem Einstieg werden wir mit den Argumentationsformen des "etablierten Vernunfttypus "vertraut gemacht. Wir folgen dem Abschnitt "I.1. Die ontologische deterministische Tendenz" lückenlos. Er beginnt mit den Worten: "Der wissenschaftliche Sozialismus wird (von Friedrich Engels, Anmerkung von Stephan Siemens) konzipiert als ontologisches System, 'Wissenschaft des Gesamtzusammenhangs'. Die Materialistsiche Dialektik fungiert hier als 'Wissenschaft von den allgemeinen Bewegungs- und Entwicklungsgesetzen der Natur, der Menschengeschichte und des Denkens'; die Natur dient Engels dabei als 'Probe auf die Dialektik'. Eine falsche Analogisierung historisch gesellschaftlicher Prozesse mit Naturphänomenen wird schon allein dadurch vorgenommen, dass in der Engelsschen Erläuterung der Grundzüge der Dialektik gerade die zwischen Subjekt und Objekt fehlt."

Das reicht als erster Eindruck für die folgenden Kostproben. Man muss nur abschreiben, was Engels sagt. Eine Kritik ist gar nicht mehr nötig. Dass das mit dem etablierten Vernunfttypus nicht übereinstimmt, sagt einem schon der Urin. Das weiß man. Da sind keine weiteren Argumente erforderlich, um zu sehen, dass das Unsinn ist. Legionen von Antikommunisten und Antimarxisten höherer und niederer Provenienz haben diese Aussagen "widerlegt". Es reicht daher, diese Aussagen anzuführen.

Ein Argument allerdings wird genannt, und das ist in der Tat interessant. Engels macht sich einer "falschen Analogisierung von historischer-gesellschaftlcher Prozesse mit Naturphänomenen" schuldig. Dieses Argument ist in der Tat interessant, weil es auf den Grunddissens der theoretischen Auffassungen zielt. Denn es geht hier nicht um die Analöogisierung, sondern um das Verhältnis von Natuir und Gesellschaft. Primitive Menschen, die dem Marxismus angehören, meinen (versteht sich irrtümlich, wenn man vom etablierten Vernunftbegriff ausgeht), dass die Natur eine Voraussetzung der menschlichen Geschichte und Gesellschaft ist. Die Meinung schlägt sich darin nieder, dass sie sich nach dem Verhältnis der Natur zur menschlichen Geschichte fragen. Sie behaupten ferner, dass die menschliche Geschichte in der Natur stattfindet, weil die Natur tatsächlich der Gesamtzusammenhang dessen ist, was ist. Daher kommen sie auf die abstruse Idee, dass die Geschichte der Menschheit Teil und Gegenteil der Naturgeschichte ist. Um das zu leugnen, muss man entweder die Frragestellung (positivistisch) für Unsinn halten. Das legt der erste Satz der Darlegungen von Ingo Elbe nahe. Oder man hört einfach mit dem Denken auf, wenn einen der "etablierte Vernunfttypus" verlässt. Nur was durch ihn gedeckt ist, das darf man auch denken. Schöne Kritik!

Die Dialektik zwischen Subjekt und Objekt fehlt nicht, aber dazu kommen wir noch bei der Widerspiegelungstheorie. Aber hat man so etwas schon gelesen, wie das, was Engels jetzt behauptet: ""Negation der Negation" oder "Umschlag von Quantität in Qualität" werden im Wechsel von Aggregatzuständen des Wassers oder der Entwicklung eines Gerstenkorns ausgemacht." Da versagt dem "etablierten Vernunfttypus das Denken. Eine quantitative Veränderung der Temperatur des Wassers führt zur Veränderung der qualitativen Darstellungsform des Wassers. Das entzieht sich auch dem wohlmeinensten Verständnis, was damit gemeint sein könnte. Also hier noch einmal zum Mitdenken: Die Temperatur des Wasseers führt innerhalb bestimmter Grenzen zu keiner Veränderung des qualitativen Zustands der Darstellungsform des Wassers als einer Flüssigkeit. Allerdings trifft das nur innerhalb bestimmter Grenzen zu. Wird die quantitative Veränderung über diese Grenzen hinausgetrieben, so verändert sich die qualitative Darstellungsweise des Wassers: Es bleibt nicht Flüssigkeit, sondern wird entweder fest oder gasförmig. Dieses Beispiel soll zeigen und es zeigt auch jedem, der sich ihm nicht verweigert: Quantiative Veränderungen ziehen - wenn bestimmte Grenzen überschritten werden, die bestimmt sind durch den Prozess, um den es sich handelt - bestimmte Veränderungen in der qualitativen Darstellungsform des Gegenstandes, der sich in diesem Prozess befindet, nach sich. Das Wasser dient hier als Beispiel für einen Gegenstand, dessen qualitative Bestimmungen sich ändern, wenn seine Temperatur sich verändert. Der - bewusst eingeräumte und eingegangene - Mangel dieses Beispiels ist, dass es sich umn ein Beispiel handelt, und dass es einen vorausgesetzten Gegenstand (heir das Wasser) gibt, an dem sich diese quantitative Veränderung vollzieht. Denn selbstverständlich soll dieses Beispiel sich nicht in erster Linie auf Wasser beziehen, sondern auf alle Gegenstände überhaupt, und dann auch speziell auf qualitaitiove Veränderungen von Bewegungsprozesse in der Natur im Allgemeinen: Also von der Ortsbewegung zur Wärme zu Magnetismus und Elektrizität etc.

Ähnlich ist es mit dem Gerstenkorn. Man kann dieses Beispiel, das übrigens nicht von Engels, sondern in leicht abgewandelter Gestalt von Hegel stammt, selbstverständlich lächerlich machen. Aber nur dann wenn man nicht darüber nachdenkt, sondern es einfach als Tatsache hinnimmt, dass Pflanzen sich auf eine bestimmte Weise reproduzieren, die - wie bei allen anderen Lebensprozessen auch - mit einer "konstruktiven oder produktiven Zerstörung" einhrgeht. So heißt die Negation der Negation heute. An dem Gedanken geändert hat sich daddurch nichts. Man hat nur mit dem "Engelsismus" nichts zu tun, sondern affirmiert die dem "etablierten Vernunfttypus" entsprechende Systemtheorie.

Aber gehen wir weiter im Text: "Dialektik soll gegen eine statische Betrachtungsweise das "Werden", die "Vergänglichkeit" allen Seins aufzeigen, sie wird rückgebunden an an traditionelle bewusstseinsphilosophische Dichotomien, wie die sog. "Grundfrage" der Philosophie, ob im Verhäkltnis von "Denken und Sein" diesem oder jenem das Primat zukomme, wird zerfällt in zwei Reihen von Gesetzen, in die 'objekltive' und die 'subjektive' Dialekti, wobei letztere lediglich als passives Abbild der ersteren geafasst wird."

Zunächst fällt hier auf, dass Ingo Elbe offenbar vergessen hat, was er gerade eben behauptet hat. (Der insgesamt zitierte Text folgt unmittelbar und ohne Auslassungen.) Eben noch beschwerte er sich, dass Engels die Dialektik zwischen Subjekt und Objekt weggelassen habe. Nun genügt ihm der Hinweis auf die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Dialektik, um durch die bloße Benennung dieses Unterschiedes - mit dem leider falschen Zusatz: "wobei letztere lediglich als passives Abbild der ersteren gefasst wird" - die Kritik daran abgeschlossen zu haben, wie Engels das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt sieht. Offenbar ist Ingo Elbe beim Abschreiben fremder Texte nicht aufgefallen, dass sich zwei der von ihm ausgesuchten Texte widersprechen.

Interessant ist die Charakterisierung der Dialektik als als eines "Aufzeigens" des "Werdens" und der "Vergänglichkeit allen Seins" gegen eine statische Betrachtungsweise. Es handelt sich bei der Dialektik nicht um das Aufzeigen der Vergänglichkeit. Wer sich nicht verbildet hat, sieht das selbst; dazu bedarf es keiner Dialektik. Es geht bei der Dialektik um das Denken der Vergänglichkeit, des Werdens, um das Denken von Prozessen. Nach der marxistischen Theorie ist alles vergänglich und prozesshaft. Etwas nicht prozesshaftes gibt es nicht. Was immer ich also angemessen denken will, muss ich als Prozess denken, als vergänglich, als Einheit von Sein und Nichtsein (um mich mit Hegel auszugdrücken). Das Denken von Prozessen setzt eine andere Form der "Bezugnahme" auf Gegenstände und die Wirklichkeit voraus als die der Sprache, weil die Sprache Vergänglichkeit und Werden, allgemeiner Prozesse nicht abbildet. (Künstliche Abbildungen - und dazu gehört die Sprache - sind nicht in sich beweglich, sondern die Bewegung wird durch statische Abbilder in schneller Reihenfolge simuliert, wie Klaus Peters gezeigt hat.) Wer sich also auf Prozesse, auf das Werden, auf die Vergängllichkeit "allen Seins" (und also allen Nichtsseins) beruft, der bestreitet, dass die Gegenstände - gleichgültig welche - sprachlich adaequat erfasst werden - nicht weil sie überhaupt nicht erfasst werden können, sondern weil die Sprache zur Erfassung von Prozessen nur beschränkt geeignet ist. Die Sprache ist selbst nicht prozesshatft, im Unterschied zum Denken der Menschen. (Hier wieder eine der Merkwürdigkeiten des dogmatischen Marxismus, dass er das menschliche Denken, wiewohl gesellschaftlliches Produkt, zugleich als "natürlichen Prozess" auffasst. Wer also mit dem "etablierten Vernunfttypus" den linguistic turn mitmacht, begibt sich der Möglichkeit, Veränderungen und Bewegungen angemessen zu denken, kann offenbar mit der Vergängllichkeit allen Seins nur beschränkt etwas anfangen, und hat speziell, mit dem Denken der Vergänglichkeit des Kapitalismus so seine Schwierigkeiten, wie wir gesehen haben.) Wir bedürfen der Sprache um zu denken, aber die Sprache ist zu beschränkt, um Bewegungen, Veränderungen, Prozesse abbilden zu können. Deswegen bedürfen wir für das Denken von Prozessen zugleich einer Kritik der Sprache, die sich sprachlich in sich selbst widersprechenden Sätzen darstellt. Nehmen wir ein "engelsistisches" Beispiel: "Leben ist sterben."