Widerspruch in der formalen Logik: Unterschied zwischen den Versionen

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(5. a. Der fliegende und ruhende Pfeil)
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Aristoteles war nicht der erste Philosoph, der den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch formuliert hat. Am Anfang dieser Entwicklung steht vielmehr der Philosoph, der die Philosophie als Wissenschaft begründet hat (wenn man die Philosophie als Wissenschaft anerkennen will). Dieser Philosoph war Parmenides, der um ca. 500 vor Christus ein philosophisches Lehrgedicht verfasst hat, in dem er den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch bereits formuliert hat. (Parmenides gehört zu den sogenannten Vorsokratikern, die uns nur durch Fragmente und Beschreibungen in Schriften anderer Philosophen bekannt sind. Diese Zitate und Beschreibungen der philosophischen Position der Vorsokratiker sind in einem Werk der Altphilologen Diels und Kranz herausgegeben worden. In diesem Werk sind die Zitate der Philosophen unter dem mit einer Nummer versehenen Namen des Philosophen, dem A für Originalzitate und einer Nummer für das bestimmte Zitat gesammelt. Handelt es sich um eine Beschreibung seines Lebens oder seiner Position durch einen anderen Schriftsteller, so wird an der Stelle des A für Originaltexte ein B für Wiedergaben durch andere Schriftsteller gesetzt. In dieser Form werden diese Zitate heute angeführt. (z.B. DK 28, B 28).) Parmenides formuliert, so erzählt der Kirchenvater Clemens von Alexandia: "Denn dasselbe ist Denken und Sein". (DK, 28 B 3) Dieser Satz wird in den verschiedensten Wendungen wiedergegeben. Wie immer er interpretiert werden kann: Er besagt zunächst nichts anderes als, dass nur das ist, was auch gedacht werden kann. Alles andere hat keine wahre Wirklichkeit; es ist nur Schein, d.h. es sieht - wenn auch vielleicht aus objektiven Gründen - nur so aus, als ob es wäre. Es ist nur, was auch gedacht werden kann, und was nicht gedacht werden kann, das ist auch nicht. Dieser Satz ist aber nicht der Satz des Widerspruchs. Diesen Satz formuliert Parmenides nach Simplikios folgendermaßen: "Denn das Sein ist und das Nichtsein ist nicht". (DK, 28, B 6) Dieser Satz dient Parmenides zur Grundlage der Entscheidung, ob etwas ist oder nicht. Alles, was ein Sein des Nichtseins voraussetzt, ist nicht. Zum Beispiel gibt es die Bewegung nicht, weil die Bewegung bedeutet, dass etwas hinterher nicht an dem Ort ist, an dem es vorher war. Bewegung setzt also Verneinung voraus. Da es Verneinung nicht geben kann (denn das Nichtsein ist nicht), kann es auch Bewegung nicht geben. Also gibt es Bewegung nicht, denn sie läßt sich nicht denken.
 
Aristoteles war nicht der erste Philosoph, der den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch formuliert hat. Am Anfang dieser Entwicklung steht vielmehr der Philosoph, der die Philosophie als Wissenschaft begründet hat (wenn man die Philosophie als Wissenschaft anerkennen will). Dieser Philosoph war Parmenides, der um ca. 500 vor Christus ein philosophisches Lehrgedicht verfasst hat, in dem er den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch bereits formuliert hat. (Parmenides gehört zu den sogenannten Vorsokratikern, die uns nur durch Fragmente und Beschreibungen in Schriften anderer Philosophen bekannt sind. Diese Zitate und Beschreibungen der philosophischen Position der Vorsokratiker sind in einem Werk der Altphilologen Diels und Kranz herausgegeben worden. In diesem Werk sind die Zitate der Philosophen unter dem mit einer Nummer versehenen Namen des Philosophen, dem A für Originalzitate und einer Nummer für das bestimmte Zitat gesammelt. Handelt es sich um eine Beschreibung seines Lebens oder seiner Position durch einen anderen Schriftsteller, so wird an der Stelle des A für Originaltexte ein B für Wiedergaben durch andere Schriftsteller gesetzt. In dieser Form werden diese Zitate heute angeführt. (z.B. DK 28, B 28).) Parmenides formuliert, so erzählt der Kirchenvater Clemens von Alexandia: "Denn dasselbe ist Denken und Sein". (DK, 28 B 3) Dieser Satz wird in den verschiedensten Wendungen wiedergegeben. Wie immer er interpretiert werden kann: Er besagt zunächst nichts anderes als, dass nur das ist, was auch gedacht werden kann. Alles andere hat keine wahre Wirklichkeit; es ist nur Schein, d.h. es sieht - wenn auch vielleicht aus objektiven Gründen - nur so aus, als ob es wäre. Es ist nur, was auch gedacht werden kann, und was nicht gedacht werden kann, das ist auch nicht. Dieser Satz ist aber nicht der Satz des Widerspruchs. Diesen Satz formuliert Parmenides nach Simplikios folgendermaßen: "Denn das Sein ist und das Nichtsein ist nicht". (DK, 28, B 6) Dieser Satz dient Parmenides zur Grundlage der Entscheidung, ob etwas ist oder nicht. Alles, was ein Sein des Nichtseins voraussetzt, ist nicht. Zum Beispiel gibt es die Bewegung nicht, weil die Bewegung bedeutet, dass etwas hinterher nicht an dem Ort ist, an dem es vorher war. Bewegung setzt also Verneinung voraus. Da es Verneinung nicht geben kann (denn das Nichtsein ist nicht), kann es auch Bewegung nicht geben. Also gibt es Bewegung nicht, denn sie läßt sich nicht denken.
   
Dieses Arguemt war, wie nicht anders zu erwarten ist, von Anfang an umstritten. Zenon von Elea, ein Schüler des Parmenides, wollte es mit mehreren Beweisen stützen, die als die sogenanten Zenonischen Paradoxien in die Geschichte der Philosophie eingegangen sind. (Am berühmtesten und anschaulichsten ist die Geschichte, dass der schnellfüssige Achill die langsame Schildkröte dann nicht einholt, geschweige denn überholt, wenn sie einen Vorsprung hat.) Eine der Paradoxien ist der sogenannte fliegende Pfeil. Zenon analysiert darin die Widersprüche des Begriffs der Bewegung, um dadurch zu beweisen, dass es Bewegung nicht geben kann. Die Beweisführung geht folgendermaßen vor sich. Ein Pfeil soll angeblich fliegen. Dann würde er sich in der Zeit t(1) bis t(n) von dem Ort P(1) zum Ort P(n) bewegen. Nimmt man aus dem Zeitraum t(1) bis t(n) einen beliebigen Zeitpunkt heraus, zum Beispiel t(i), so befindet sich der Pfeil an dem Ort P(i). Er bewegt sich nicht zum Zeitpunkt t(i), sondern ruht am Ort P(i). Nimmt man einen anderen Zeitpunkt, etwa t(j), so ruht der Pfeil an dem Ort P(j), und nimmt man schließlich den Zeitpunkt t(k), so ruht der Pfeil an dem Ort P(k). Welchen Zeitpunkt auch immer wir herausgreifen: Immer ruht der Pfeil an einem bestimmten Ort. Es gibt keinen Zeitpunkt, zu dem der Pfeil nicht ruht. Also bewegt er sich niemals. Er scheint sich bloß zu bewegen, aber er bewegt sich nicht. Denn zu allen Zeitpunkten und an allen POrten, an denen er sich befindet, bewegt er sich nicht. Der Antike Philosophiegeschichtler Diogenes Laertios fasst das Argument Zenons so zusammen: "Zenon hebt die Bewegung auf, indem er sagt, das Sichbewegende bewegt sich wesder an dem Ort, wo es ist, noch an dem, wo es nicht ist." (DK 29 B 4) Demnach würde sich also das Sichbewegende überhaupt nicht bewegen, und das führt uz einem Widerspruch. Also kann es Bewegung nicht geben.
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Dieses Arguemt war, wie nicht anders zu erwarten ist, von Anfang an umstritten. Zenon von Elea, ein Schüler des Parmenides, wollte es mit mehreren Beweisen stützen, die als die sogenanten Zenonischen Paradoxien in die Geschichte der Philosophie eingegangen sind. (Am berühmtesten und anschaulichsten ist die Geschichte, dass der schnellfüssige Achill die langsame Schildkröte dann nicht einholt, geschweige denn überholt, wenn sie einen Vorsprung hat.) Eine der Paradoxien ist der sogenannte fliegende Pfeil. Zenon analysiert darin die Widersprüche des Begriffs der Bewegung, um dadurch zu beweisen, dass es Bewegung nicht geben kann. Die Beweisführung geht folgendermaßen vor sich. Ein Pfeil soll angeblich fliegen. Dann würde er sich in der Zeit t(1) bis t(n) von dem Ort P(1) zum Ort P(n) bewegen. Nimmt man aus dem Zeitraum t(1) bis t(n) einen beliebigen Zeitpunkt heraus, zum Beispiel t(i), so befindet sich der Pfeil an dem Ort P(i). Er bewegt sich nicht zum Zeitpunkt t(i), sondern ruht am Ort P(i). Nimmt man einen anderen Zeitpunkt, etwa t(j), so ruht der Pfeil an dem Ort P(j), und nimmt man schließlich den Zeitpunkt t(k), so ruht der Pfeil an dem Ort P(k). Welchen Zeitpunkt auch immer wir herausgreifen: Immer ruht der Pfeil an einem bestimmten Ort. Es gibt keinen Zeitpunkt, zu dem der Pfeil nicht ruht. Also bewegt er sich niemals. Er scheint sich bloß zu bewegen, aber er bewegt sich nicht. Denn zu allen Zeitpunkten und an allen POrten, an denen er sich befindet, bewegt er sich nicht. Der Antike Philosophiegeschichtler Diogenes Laertios fasst das Argument Zenons so zusammen: "Zenon hebt die Bewegung auf, indem er sagt, das Sichbewegende bewegt sich wesder an dem Ort, wo es ist, noch an dem, wo es nicht ist." (DK 29 B 4) Demnach würde sich also das Sichbewegende überhaupt nicht bewegen, und das führt zu einem Widerspruch. Also kann es Bewegung nicht geben.
   
 
 

Version vom 30. November 2009, 11:04 Uhr

Der Widerspruch in der formalen Logik
Zum Verhältnis von formaler Logik und dialektischer Logik
von Stephan Siemens
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1. Einleitung

Der Satz vom ausgeschlossenen oder zu vermeidenden Widerspruch ist einer der Grundsätze der formalen Logik. Wie verhält sich die Dialektik zu diesem Grundsatz? Diese Frage wird tatsächlich selten klar beantwortet. Oft scheint es eine den Dialektikern geradezu peinliche Frage zu sein. Dabei lohnt sie die Beschäftigung damit. Aber der Titel dieses Vortrags klingt doppeldeutig. Geht es darum, wie in der formalen Logik mit Widersprüchen umgegangen wird? Oder behauptet man, dass der formalen Logik ein Widerspruch innewohnt, um dessen Beseitigung sie sich vergeblich bemüht? Wie in der Dialektik üblich, wird wohl beides der Fall sein. Beides bildet eine Einheit, die einen Aspekt der Dialektik der formalen Logik darstellt. Die Dialektik enthält eine Theorie der formalen Logik, während sie sich selbst aus der Sicht der formalen Logik mit dem Verdacht auseinandersetzen muss, "Unsinn" zu sein. Gerade die Auseinadnersetzunge mit einem soolchen Verdacht, der zu einer Selbstkritik der dialektischen Philosophie herausfordert, ist die Energie, die die dialektische Phiosophie motiviert.

2. Was besagt der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch?

Der LEser mag sich verwundert fragen: Ja soll denn in diesem Texxt dem Satruz vom ausgeschloessenen Wiodersüpruch widersprochen werden? Das ist doch wohl klaum möglich. Denn ein Text wendet sich an Leser und soll so betrachtet verständlich sein. Er ist aber nicht verständlich wenn in einem und demselben Satz etwas zugleich behauptet und bestritten wird. Ein solcher Text würde den Leser und die Leserin verwirren. Er wäre unverständlich. Nach der Auffassung der Vertreter des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch kann man einen solchen Satz, der einen Widerspruch behauptet, nicht verstehen. Nur wenn er keinen Widerspruch enthält, ist der Satz zu verstehen. Und so viel scheint klar zu sein: Entweder enthält der Satz einen Widerspruch, oder er enthält keinen Widerspruch. Wenn er keinen Widerspruch enthält, dann eist er - zumindest insoweit - verständllich. Sollte er aber einen Widerspruch enthalten, ist er unverständlich. Das ist ein erstes Beispiel für den Satz vom Widerspruch selbst. Allgemein gesprochen: Wenn ein Satz ein und dasselbe behauptet und bestreitet - logisch zugleich -, dann handelt es sich um einen Satz, der dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch widerspricht. Der Widerspruch ist schon dadurch - so scheint es - ausgeschlossen, dass man ihn nicht verstehen kann. Geht man von der Sprache und ihrer Verständlichkeit aus, so muss man versuchen, einen Widerspruch zu vermeiden.

Um den Satz vom zu vermeidenden oder ausgeschlossenen Widerspruch zu verstehen, ist es vielleicht nützich, sich klar zu machen, was der Satz vom Widerspruch nicht bedeutet. Wenn zwei Freunde eine Münze werfen und auf Kopf oder Zahl wetten, dann ist es praktisch äußerst relevant, ob die Münze - wenn sie gefallen ist - Kopf zeigt oder Zahl. In praktisch allen Fällen wird sie das eine oder das andere in Wirklichkeit tun. Dies ist jedoch kein Beispiel für den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Denn beide Fälle, der in dem die Münze Kopf zeigt, und der, in dem die Münze Zahl zeigt, sind Fälle, die unmittelbar sichtbar sind. Als ein Gesetz betrachtet, ist der Satz, dass die Münze entweder Kopf oder Zahl zeigt, ein Satz, der mit hoher Wahrscheinlichkeit wahr ist. Aber es bleibt eine minimale Restgröße, in der etwa die Münze auf keinen festen Untegrund fällt und verschwindet, oder die Münze auf dem Rand stehen bleibt, oder im Flug von einer Elster geklaut worden ist. So unwahrscheinlich diese Fälle auch sein mögen: Sie reichen aus, um diesen Fall von einem solche zu unterscheiden, in dem der Satz vom ausgeschlossenenen Widerspruchn zur Anwendung kommt.

Denn der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch ist nicht ein Gesetz der Wirklichkeit, sondern des Denekns. Er gilt - sofern er überhaupt gilt - nur und ausschließlich im Denken. Bei der Münze kann man - nachdem sie gefallen ist - in der Regel sehen,was der Fall ist, ob sie nun den Kopf zeigt oder die Zahl (oder - wenn man die Restgröße einbezieht - keines von beiden). Das ist bei einem Fall des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch nicht der Fall. Da kann man nur einen Fall sehen. Die entsprechende Formulierung, die dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch entspricht, lautet: Entweder die Münze zeigt die Zahl oder sie zeigt nicht die Zahl, sondern es ist irgendwie anders. Letzteres kann man nicht sehen oder anderwie sinnlich wahrnehmen. Man kann es nunr denknen.Und es enthält sogar einen minmalen Schluss. Man kann etwa sehen: Die Münze steht af ihrem Rand. Der Schluss geht dann weiter: Also zeigt sie nicht die Zahl. Natürlich kan es auch sein, dass die Münze gar nicht mehr zu sehen ist. Auch dann zeigt sie nicht die Zahl etc. Alle - unterschiedenen - Fälle, in denen die Münze nicht die Zahl zeigt, sind zu einem Fall zusammengefassst. Dieser FAll ist der, dasss die Münze nicht die Zahl zeigt, und dieser Fall läßt sch nur denken. Denn es ist darin ein e Schlussfolgerung enthalten.

Was aber soll das, so unterschiedliche Fälle in einen Fall - in unserem Fall den negativen Fall - zusammenzufassen? Wenn einer der Fälle des Satzes vom ausgeschlossenene Widerspruch nicht gilt, dann stimmt notwendig der andere Fall. Deswegen ist es wichtig, dass der eine Fall so formuliert sit, dass er tatsächlich nur das Negative des anderen Falls darstellt, und nicht selbst positiv bestimmt ist. Wenn die Münze Zahl zeigt, dann ist dies der positiv bestimmte Fall. Wenn die Zahl nicht zu sehen ist, dann ist der positiv bestimmte Fall nicht eingetreten, sondern irgendetwas anderes. Der Satz "Entweder zeigt die Münze Zahl oder sie zeigt nicht Zahl." gilt nach dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch ausnahmslos; denn er besteht aus zwei Fällen, wobei der zweite Fall das Nicht-Bestehen des ersten Falls ist. Entweder besteht der erste Fall, dann ist der Satz deswegen wahr. Oder er besteht nicht, dann ist der Satz deswgen wahr. Also ist der Satz immer wahr. Denn neienr der beiden Fälle muss notwendig bestehen.

3. Widerspruch gegen den Satz vom Widerspruch?

Erschrocken mag sich nun der Leser oder die Leserin fragten: Aber klang das nicht am Anfang so, als ob die Dialektik dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch widersprechen wolle? Wie soll das im Falle des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch möglich sein? Denn der Versuch, dem Satz vom ausgeschlossenen Widerpruch zu widersprechen, verwandelt sich selbst - so scheint es - in einen Fall der Anwendung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch. Wenn bestritten wird, dass der Satz vom ausgeschlossenene Widerpsruch gilt, dann wird offenbar behauptet, dass er nicht gilt. Diese Behauptung wird der Behauptung entgegengestellt, dass er immer gilt. Es ist also ein Fall, indem dem Satz vom Widerspruch widersprochen wird, wobei offenbar zugleich vorausgesetzt wird, dass er entweder gilt oder nicht gilt. Mithin widerspreche ich dem Satz vom Widerspruch, und setze zugleich seine Wahrheit voraus. Denn die Bestreitung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch wäre selbst ein Fall des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch und würde ihn auf diese Weise bestätigen. Die Selbstzweifel einer dialektischen Philosophie, die dem Satz vom aussgeschlosseenen Widersperuch widersprechen wollte, sind also alles andere als unangebracht. Dem Satz vom Widerspruch unmittelbar widersprechen zu wollen, ohne ihn selbst in seienr Wahrheit vorauszusetzen, ist unmöglich.

Der Dialektiker hat sich also womöglich geirrt und muss sich umgekehrt fragen, ob er nicht verblendet wahr, als der dem Satz vom ausgeschlosseneen Widerspruch widersprach. Vielleicht stimmt der Satz ja doch? Der Dialektiker wird also vom Vertreter der formalen Logik lernen. Er wird sich mit der Begründung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch befassen.

4. Die Begründung des Aristoteles

Warum also gilt der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch immer? Auf diese Frage hin wird der formale Logiker nachdenklich bemerken: Das ist nicht einfach zu sagen, oder vielleicht besser: Es ist ganz einfach zu sagen. Man kann den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch gar nicht begründen. Denn eine unmittelbare Begründung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch würde ihn genauso voraussetzen wie seine Bestreitung. Es kann also nicht darum gehen, den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch unmittelbar zu begründen oder zu bestreiten. Aber es gibt ein zwingendes Argument für den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch: Wir können nicht miteinander sprechen, wenn wir den Satz vom ausgeschlosseenen Widerspruch nicht anerkennen. Dieses Argument hat Aristoteles entwickelt. Da es zu den klassischen Arguemten der Philosophiegeschichte gehört, wird es hier zitiert und ein wenig kommentiert. Es wird - mit neuen Fremdwörtern versehen - im Prinzip bis heute genauso vorgetragen, wie Aristoteles es gebracht hat.Aristoteles beginnt seine Argumentation so[1]

"Nun gibt es aber, wie gesagt, einige, welche es für möglich erklären, dass 
daselbe sei und nicht sei und das man dies so annehme.Auch vioele von den 
Physikern bedienen sich dieses Satzes. Wir dagegen haben angenommen, es sein  
unmöglich, dass etwas zugleich sei und nicht sei, und haben hieraus erwiesen, 
dass dies das sicherste unter allen Priionzipien ist. Manche verlangen nun aus 
Mangel an Bildung, man solle auch dies beweisen; denn Mangel an Bildung ist 
es, wenn man nicht weiß, wofür ein Beweis zu suchen ist und wofür nicht. Denn 
dass es für überhaupt alles einen Beweis gebe, ist unmöglich, sonst würde ja 
ein Fortschritt ins Unendliche eintreten und auch so kein Beweis stattfinden. 
Wenn aber für manches kein Beweis gesucht werden darf, so möchten sie wohl 
nicht angeben können, was sie denn mit mehr Recht für ein solches Prinzip 
halten wollten.   
 

Einige bestreiten den Satz vom ausgeschlossenene Widerspruch. Aristoteles und seine Schule aber behaupten ihn, und behaupten sogar, dass er das sicherste aller Prinzipien sei. Manche verlangen einen Beweis, und zeigen dadurch ihre mangelnde Bildung. Dennn offenbar wisen sie nicht, dass man nicht alles beweisen kann, weil man Voraussetzungen braucht, aus denen man Beweise führen kann. Wollte man diese Voraussetzungen wieder zu beweisen versuchen, so bedürfte dies weiterer Voraussetzungen usw. usf. ins Unendliche. Wenn aber die Beweiskette in eine Unendlichkeit zurückgeht, dann hängt sie in der Luft. Sie verliert ihren Beweischarakter. Also muss das Beweisen von irgendetwas ausgehen, was selbst nicht beweisbar ist. Man muss wissen, was man beweisen kann und was nicht. Sonst zeigt man sich als ungebildet. Und was könnte mehr Recht auf den Status eines Prinzips haben, als der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Ein direkter Bewweis scheidet also aus. Aber da es sowieso Unbeweisbares geben muss, woraus nänmlich Beweise letztlich geführt werden, so ist schwer zu sehen, warum dieses Prinzip nicht dazu gehören soll. Aber mit dieser Arguemtation ist Aristoteles nicht zufrieden. Denn auch wenn ein direkter Beweis nicht geführt werden kann, so doch ein negativer. Aristoteles fährt daher fort:

"Doch ein widerlegender Beweis für die Unmöglichkeit der Behauptung lässt 
sich führen, sobald der dagegen Streitende nur überhaupt redet; wo aber nicht, 
so wäre es ja lächerlich, gegen den reden zu wollen, der über nichts rede 
steht, gerade insofern er nicht Rede steht; denn ein solcher ist einer Pflanze 
gleich. Den widerlegenden Beweis unterscheide ich von dem eigenetlichen 
direkten Beweis; wollte man diesen führen, so würde man das zu erweisende 
vorauszusetzen scheinen; ist aber der andere, streitende schuld daran, so 
ergibt sich eine Widerlegung, aber nicht ein eigentlicher Beweis." 

Aristoteles unterscheidet nun einen direkten von einem indirekten oder widderlegenden Beweis. Während der direkte Beweis das zu Beweisende voraussetzen würde, entfällt diese Form des Beweises. Die indirekte Form des Beweises ist an eine Voraussetzung gebunden. Der dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch Bestreitende muss sprechen. Wenn er erst einmal spricht, so Aristoteles, dann ist er verloren. Wenn er aber nicht spriocht, dann ist er nicht nur ungebildet, sondern überhaupt nicht ernst zu nehmen. Denn dann wäre er ja stumm wie eine "Pflanze". Man könnte mit ihm nicht streiten. Wenn aber aber spricht, dann ist er schukld am Gespräch und also auch an den Bedingungen des Gesprächs, und dazu gehört eben auch der Satz vom Widerspruch. Aristoteles fährt fort:

"Der Ausgangspunkt bei allen derartigen Diskussionenen ist nicht, dass man vom 
Gegener verlangt, er solle erklären, dass etwas sei oder nicht sei (denn dies 
würde man schon für eine Annahme des zu Beweisenden ansehen), sondern dass er 
im Reden etwas bezeichne für sich wie für einen anderen; denn das ist ja 
notwendig, sofern er überhaupt etwas reden will. Wo nicht, so hätte ja ein 
solcher gar keine Rede, weder zu sich selbst, noch zu einem anderen. Gibt 
jemand einaml dies zu, so lässt sich ihm auch die Wahrheit des Axioms 
erweisen; denn es ist dann schon etwas fest bestimmt. Die grundlage zum 
Beweisen aber gibt nicht der Beweisende, sondern der, welcher Rede steht; denn 
er steht Rede, obgleich er doch die Rede aufhebt." 

Man darf also - so rät Aristoteles - nicht selbst etwas verlangen, sondern muss abwarten, bis der Gegner etwas sagen will. Denn wenn er etwas sagt, dann muss er dazu etwas fest bestimmen, oder wie man auch sagt, fixieren. Sonst könnte er davon nicht sprechen. Wenn er nichts sagen will, kann er gar nicht sprechen und ist wie eine Pflanze. Wenn er etwas fest bestimmen muss, danmn ist er in er Falle. Den n dann muss er dies, was er fest bestimmt hat, behaupten und kann es nicht zugleich bestreiten. Der Satz vom Widerspruch gilt also, weil es notwendig ist, etwas zu fixieren, "fest zu bestimmen", wenn man davon sprechen will.

Der gegener wird zunächst als ungebildet bezeichenet, dann zur Pflanze degradiert, und dann mit einem indirekten Argument überführt. Aber zunöächst gibt Aristoteles zu, dass sein erstes Argument für wie gegen den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch gilt. Er läßt sich unmittelbar weder beweisen noch bestreiten. Es hängt mit der Sprache zusammen, dass man sich - um sich in ihr mitzuteilen oder sich in ihr mit sich selbst zu verständigen - etwas fest bestimmen und dann als so bestimmt behaupten mus, um es bezeichnen zu können. Wer also sprechen will, der muss dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch folgen.

5. Probleme mit dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch

Das Argumente von Aristoteles ist - wenn auch nicht gerade angenehm und schön, so doch - stark. Und man wird zugeben müssen: Wenn es in einem Gespräch um das "Recht haben" geht, dann ist der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch unabdingbar notwendig und gültig. Wieso bestreitet dann aber die dialektische Philosophie die universelle Gültigkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch? Mit dieser Frage wendet man sich an die dialektische philosophische Tradition, die sich - so ist zu erwarten - mit diesem Problem auch schon herumschlagen musste. Vielleicht gewinnt man aus den Argumenten, die in dieser Auseinandersetzung von dialektischer Seite vorgebracht worden sind, einen Zugriff auf die Frage, was sich gegen die universelle Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch anführen lässt.

Danach kann man dann versuchen in einer Form zu sprechen, die als solche nicht unbedingt eine Bestätigung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch ist, wie Aristoteles dies behauptet. Denn um Wissenschaft betreiben zu können, muss man - da ist Aristoteles zuzustimmen - sprechen. Es widerspricht dem Gedanken der Wissenschaft, dass sie nicht vermittelbar ist. Wissenschaft bedarf der Sprache, um vermittelbar zu sein. Also kann man die Sprache nicht aufgeben und den Vertretern ds Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch überlassen, ohne den Anspruch auf Rationalität und Wissenschaftlichkeit aufzugeben. Aber die Form, die Sprache zu verwenden, auf die sich Aristoteles bezieht, ist viellecht nicht die einzige Form wissenschaftlichen Sprechens, sondern nur eine spezifische. Wenn also die Argumente gegen den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch klar und deutlich sind, dann ist es vielleicht auch möglich, über einen anderen Sprachgebrauch in der Wissenscahft nachzudenken, als den von Aristoteles angeführten.

Es können nicht alle Probleme, die in der Tradition angeführt worden sind, hier angeführt werden. Ich will mich daher auf drei wesentliche Probleme beschränken, nämlich das Denken der Bewegung, des Verhältnisses und der Entwicklung.

5. a. Der fliegende und ruhende Pfeil

Aristoteles war nicht der erste Philosoph, der den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch formuliert hat. Am Anfang dieser Entwicklung steht vielmehr der Philosoph, der die Philosophie als Wissenschaft begründet hat (wenn man die Philosophie als Wissenschaft anerkennen will). Dieser Philosoph war Parmenides, der um ca. 500 vor Christus ein philosophisches Lehrgedicht verfasst hat, in dem er den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch bereits formuliert hat. (Parmenides gehört zu den sogenannten Vorsokratikern, die uns nur durch Fragmente und Beschreibungen in Schriften anderer Philosophen bekannt sind. Diese Zitate und Beschreibungen der philosophischen Position der Vorsokratiker sind in einem Werk der Altphilologen Diels und Kranz herausgegeben worden. In diesem Werk sind die Zitate der Philosophen unter dem mit einer Nummer versehenen Namen des Philosophen, dem A für Originalzitate und einer Nummer für das bestimmte Zitat gesammelt. Handelt es sich um eine Beschreibung seines Lebens oder seiner Position durch einen anderen Schriftsteller, so wird an der Stelle des A für Originaltexte ein B für Wiedergaben durch andere Schriftsteller gesetzt. In dieser Form werden diese Zitate heute angeführt. (z.B. DK 28, B 28).) Parmenides formuliert, so erzählt der Kirchenvater Clemens von Alexandia: "Denn dasselbe ist Denken und Sein". (DK, 28 B 3) Dieser Satz wird in den verschiedensten Wendungen wiedergegeben. Wie immer er interpretiert werden kann: Er besagt zunächst nichts anderes als, dass nur das ist, was auch gedacht werden kann. Alles andere hat keine wahre Wirklichkeit; es ist nur Schein, d.h. es sieht - wenn auch vielleicht aus objektiven Gründen - nur so aus, als ob es wäre. Es ist nur, was auch gedacht werden kann, und was nicht gedacht werden kann, das ist auch nicht. Dieser Satz ist aber nicht der Satz des Widerspruchs. Diesen Satz formuliert Parmenides nach Simplikios folgendermaßen: "Denn das Sein ist und das Nichtsein ist nicht". (DK, 28, B 6) Dieser Satz dient Parmenides zur Grundlage der Entscheidung, ob etwas ist oder nicht. Alles, was ein Sein des Nichtseins voraussetzt, ist nicht. Zum Beispiel gibt es die Bewegung nicht, weil die Bewegung bedeutet, dass etwas hinterher nicht an dem Ort ist, an dem es vorher war. Bewegung setzt also Verneinung voraus. Da es Verneinung nicht geben kann (denn das Nichtsein ist nicht), kann es auch Bewegung nicht geben. Also gibt es Bewegung nicht, denn sie läßt sich nicht denken.

Dieses Arguemt war, wie nicht anders zu erwarten ist, von Anfang an umstritten. Zenon von Elea, ein Schüler des Parmenides, wollte es mit mehreren Beweisen stützen, die als die sogenanten Zenonischen Paradoxien in die Geschichte der Philosophie eingegangen sind. (Am berühmtesten und anschaulichsten ist die Geschichte, dass der schnellfüssige Achill die langsame Schildkröte dann nicht einholt, geschweige denn überholt, wenn sie einen Vorsprung hat.) Eine der Paradoxien ist der sogenannte fliegende Pfeil. Zenon analysiert darin die Widersprüche des Begriffs der Bewegung, um dadurch zu beweisen, dass es Bewegung nicht geben kann. Die Beweisführung geht folgendermaßen vor sich. Ein Pfeil soll angeblich fliegen. Dann würde er sich in der Zeit t(1) bis t(n) von dem Ort P(1) zum Ort P(n) bewegen. Nimmt man aus dem Zeitraum t(1) bis t(n) einen beliebigen Zeitpunkt heraus, zum Beispiel t(i), so befindet sich der Pfeil an dem Ort P(i). Er bewegt sich nicht zum Zeitpunkt t(i), sondern ruht am Ort P(i). Nimmt man einen anderen Zeitpunkt, etwa t(j), so ruht der Pfeil an dem Ort P(j), und nimmt man schließlich den Zeitpunkt t(k), so ruht der Pfeil an dem Ort P(k). Welchen Zeitpunkt auch immer wir herausgreifen: Immer ruht der Pfeil an einem bestimmten Ort. Es gibt keinen Zeitpunkt, zu dem der Pfeil nicht ruht. Also bewegt er sich niemals. Er scheint sich bloß zu bewegen, aber er bewegt sich nicht. Denn zu allen Zeitpunkten und an allen POrten, an denen er sich befindet, bewegt er sich nicht. Der Antike Philosophiegeschichtler Diogenes Laertios fasst das Argument Zenons so zusammen: "Zenon hebt die Bewegung auf, indem er sagt, das Sichbewegende bewegt sich wesder an dem Ort, wo es ist, noch an dem, wo es nicht ist." (DK 29 B 4) Demnach würde sich also das Sichbewegende überhaupt nicht bewegen, und das führt zu einem Widerspruch. Also kann es Bewegung nicht geben.



wird fortgesetzt


  1. Metaphysik, Buch IV, Kapitel 4, 1006a, Übersetzung: Horst Seidl