Widerspruch in der formalen Logik: Unterschied zwischen den Versionen
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− | Was für die Bewegungen und Prozesse gilt, trifft auch für Verhältnisse zu.<ref>Das ist in gewisser Weise nicht verwunderlich. Denn Verhältnisse lassen sich als als Beziehung von Anfang und Ende von Veränderungen denken, bei denen die Veränderung selbst weggelassen ist oder bloß ideell gedacht ist.</ref> Um das Problem aufzuzeigen, ist es vielleicht am einfachsten, man nimmt einen Beispielsatz, der in der analytischen Philosophie berühmt ist. So ein Beispielsatz ist etwa der Satz: "Die Sonne ist größer als die Erde." Dieser Satz bezeichenet ein Größenverhältnis, nämlich dies, dass die Sonne größer ist als die Erde, aber er tut dies von der |
+ | Was für die Bewegungen und Prozesse gilt, trifft auch für Verhältnisse zu.<ref>Das ist in gewisser Weise nicht verwunderlich. Denn Verhältnisse lassen sich als als Beziehung von Anfang und Ende von Veränderungen denken, bei denen die Veränderung selbst weggelassen ist oder bloß ideell gedacht ist.</ref> Um das Problem aufzuzeigen, ist es vielleicht am einfachsten, man nimmt einen Beispielsatz, der in der analytischen Philosophie berühmt ist. So ein Beispielsatz ist etwa der Satz: "Die Sonne ist größer als die Erde." Dieser Satz bezeichenet ein Größenverhältnis, nämlich dies, dass die Sonne größer ist als die Erde, aber er tut dies von der Sonne aus. Er geht von der Sonne aus, setzt sie als Maßstab, mit dem die Größe der Erde verglichen wird, und stellt fest, dass die Erde nicht so groß ist wie die Sonne. Damit verkehrt sich zugleich das Verhältnis in sich selbst. Denn vom Standpunkt der Erde betrachtet ist das Größenverhältnis auf diese Weise einseitig gedacht. Wird dasselbe Größenverhältnis von der Erde aus gedacht, so wird die Größe der Erde als Ausgangspunkt genommen und mit der Größe der Sonne verglichen. Es stellt sich dasselbe Größenverhältnis in dem Satz: "Die Erde ist kleiner als die Sonne." dar. Das Größenverhältnis als solches ist also weder in dem einen noch in dem anderen Satz vollständig ausgedrückt. Beide Sätze formulieren das Größenverhältnis nur einseitig, nämlich nur von einem Standpunkt aus. |
− | Dieser Standpunkt ist keineswegs ein äußerlicher, sondern ist im Gegenteil einer, der in dem Größenverhältnis selbst liegt. Denn das Verhältnis stellt sich dar als die Beziehung zwischen zwei |
+ | Dieser Standpunkt ist keineswegs ein äußerlicher, sondern ist im Gegenteil einer, der in dem Größenverhältnis selbst liegt. Denn das Verhältnis stellt sich dar als die Beziehung zwischen zwei verschieden großen Gegenstüänden. Es liegt daher - wenn man so will - in der Natur des Verhältnisses, dass es sowohl von dem einen Gegenstand aus betrachtet werden kann, als auch von dem anderen aus. Es gibt also aus logischen Gründen zwei Gesichtspunkte, von denen aus das Verhältnis formuliert werden kann. Das eine Größenverhältnis wird daher notwendig formuliert als ein Verhältnis des "Größerseins" einerseits und ein Verhältnis des "kleinerseins" andererseits. Genau genommen muss man, um das Verhältnis vollständig auszudrücken, beide Gesichtspunkte formulieren oder denken. Dann aber behandelt man das eine Größenverhältnis als zwei, einerseits ein "Größersein" und andererseits ein "Kleinersein". Es entsteht bei dem Versuch der vollständigen Formulierung des Größenverhältnisses eine Formulierung, die zwei Größenverhältnisse zu formulieren scheint. Das eine Größenverhältnis stellt sich in den Formulierungen "Die Sonne ist größer als die Erde." und "Die Erde ist kleiner als die Sonne." vollständig dar. Es erscheint in der logischen Form zweier Größenverhältnisse. Es handelt sich jedoch nur um zwei entgegengesetzte Betrachtungsweisen des einen Größenverhältnisses, so dass der Eindruck, dass es sich um zwei Größenverhältnisse handelt, zugleich verneint wird: Es sind nicht zwei Größenverhältnisse, sondern ein und dasselbe. |
− | Nun wird man sich die Frage stellen: Wozu der ganze Aufwand? Kann man nicht einfach sagen: Größenverhältnis x/y? Nein, das kann man nicht. Denn einer der beiden Gegenstände, die in dem |
+ | Nun wird man sich die Frage stellen: Wozu der ganze Aufwand? Kann man nicht einfach sagen: Größenverhältnis x/y? Nein, das kann man nicht. Denn einer der beiden Gegenstände, die in dem Größenverhältnis stehen, gilt gewissermaßen als der Maßstab. Also muss von einem der beiden Gegenstände ausgegangen werden, und je nachdem, welcher genommen wird, stellt sich dasselbe Größenverhältnis als ein Größersein oder als ein Kleinersein dar. Um also das bestimmte Verhältnis angeben zu können, und darum handelt es sich ja, müssen die Gegentstände angegeben werden, die in dem bestimmten Größenverhältnis stehen. Es bedarf also sowohl der Verneinung der gedoppelten Formulierung des Größenverhältnisses, um das Verhältnis als solches zu denken, wie auch der Formulierung der beiden Aspekte des Größenverhältnisses, um es als bestimmtes Größenverhältnis denken zu können. Mit anderen Worten: Das Verständis des Satzes "Die Sonne ist größer als die Erde." erfordert das Verständnis eines Widerspruchs. Man kann - wenn einem das nicht gefällt - so tun als wäre das nicht so. Man kann davon abstrahieren, wenn man es nicht so genau nimmt. Aber man muss dann auch von seinem eigenene Tun im Denken abstrahieren. Und um zu bestreitren, dass Widersprüche gedacht worden sind, muss man dieses Abstrahieren anschließend vergessen. Man gerät in eine Doppelung auch hinsichtlilche seines eigenen Denkens, weil man sich sein eigenes Denken im Nachdenken über das eigene Denken anders denkt, als man wirklich denkt, obwohl es sich doch um dsaselbe Denken handeln sollte. |
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+ | Bei Größenverhältnissen mag dieses Problem nur einen ideellen Charakter haben, der für die Philosophie zwar ausreichend problematisch ist, in der Praxis aber angeblich nur eine untergeordnete Rolle spielen könnte. Die oben angestellten Überlegungen gelten aber für alle Verhältnisse. Bei anderen Verhältnissen ist es durchaus von praktischer Bedeutung, dass beide Persprektiven einerseits dasselbe Verhältnis siond, andererseits aber als zwei Verhältnisse gedacht werden können. Bei ökonomischen Krisen handelt es sich unter anderem um die Trennung von Kauf und Verkauf, die Krisen möglich machen. Bei dem Verhältnis der Menschen zur NAtur geht es eignerseits um ökonomische Verhältnisse, andereseits um ökologische Verghältnisse, und beide Verhältnisse sind dieselben Verhältnisse, nur unter verscheidenen Gesichtspunkten nicht nur betrachtet, sondern auch behandelt. Dieser Unterschied ist also durchus nicht nur ideeller Art, er ist - oder kann es werden - ebenso praktischer Art. |
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===5. c. Entwicklung=== |
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Version vom 7. Dezember 2009, 13:59 Uhr
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Inhaltsverzeichnis
- 1 1. Einleitung
- 2 2. Was besagt der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch?
- 3 3. Widerspruch gegen den Satz vom Widerspruch?
- 4 4. Die Begründung des Aristoteles
- 5 5. Probleme mit dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch
- 6 5. a. Der fliegende und ruhende Pfeil
- 7 5. b. "Größer sein" und "kleiner sein"
- 8 5. c. Entwicklung
1. Einleitung
Der Satz vom ausgeschlossenen oder zu vermeidenden Widerspruch ist einer der Grundsätze der formalen Logik. Wie verhält sich die Dialektik zu diesem Grundsatz? Diese Frage wird tatsächlich selten klar beantwortet. Oft scheint es eine den Dialektikern geradezu peinliche Frage zu sein. Dabei lohnt sie die Beschäftigung damit. Aber der Titel dieses Vortrags klingt doppeldeutig. Geht es darum, wie in der formalen Logik mit Widersprüchen umgegangen wird? Oder behauptet man, dass der formalen Logik ein Widerspruch innewohnt, um dessen Beseitigung sie sich vergeblich bemüht? Wie in der Dialektik üblich, wird wohl beides der Fall sein. Beides bildet eine Einheit, die einen Aspekt der Dialektik der formalen Logik darstellt. Die Dialektik enthält eine Theorie der formalen Logik, während sie sich selbst aus der Sicht der formalen Logik mit dem Verdacht auseinandersetzen muss, "Unsinn" zu sein. Gerade die Auseinadnersetzunge mit einem soolchen Verdacht, der zu einer Selbstkritik der dialektischen Philosophie herausfordert, ist die Energie, die die dialektische Phiosophie motiviert.
2. Was besagt der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch?
Der LEser mag sich verwundert fragen: Ja soll denn in diesem Texxt dem Satruz vom ausgeschloessenen Wiodersüpruch widersprochen werden? Das ist doch wohl klaum möglich. Denn ein Text wendet sich an Leser und soll so betrachtet verständlich sein. Er ist aber nicht verständlich wenn in einem und demselben Satz etwas zugleich behauptet und bestritten wird. Ein solcher Text würde den Leser und die Leserin verwirren. Er wäre unverständlich. Nach der Auffassung der Vertreter des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch kann man einen solchen Satz, der einen Widerspruch behauptet, nicht verstehen. Nur wenn er keinen Widerspruch enthält, ist der Satz zu verstehen. Und so viel scheint klar zu sein: Entweder enthält der Satz einen Widerspruch, oder er enthält keinen Widerspruch. Wenn er keinen Widerspruch enthält, dann eist er - zumindest insoweit - verständllich. Sollte er aber einen Widerspruch enthalten, ist er unverständlich. Das ist ein erstes Beispiel für den Satz vom Widerspruch selbst. Allgemein gesprochen: Wenn ein Satz ein und dasselbe behauptet und bestreitet - logisch zugleich -, dann handelt es sich um einen Satz, der dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch widerspricht. Der Widerspruch ist schon dadurch - so scheint es - ausgeschlossen, dass man ihn nicht verstehen kann. Geht man von der Sprache und ihrer Verständlichkeit aus, so muss man versuchen, einen Widerspruch zu vermeiden.
Um den Satz vom zu vermeidenden oder ausgeschlossenen Widerspruch zu verstehen, ist es vielleicht nützich, sich klar zu machen, was der Satz vom Widerspruch nicht bedeutet. Wenn zwei Freunde eine Münze werfen und auf Kopf oder Zahl wetten, dann ist es praktisch äußerst relevant, ob die Münze - wenn sie gefallen ist - Kopf zeigt oder Zahl. In praktisch allen Fällen wird sie das eine oder das andere in Wirklichkeit tun. Dies ist jedoch kein Beispiel für den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Denn beide Fälle, der in dem die Münze Kopf zeigt, und der, in dem die Münze Zahl zeigt, sind Fälle, die unmittelbar sichtbar sind. Als ein Gesetz betrachtet, ist der Satz, dass die Münze entweder Kopf oder Zahl zeigt, ein Satz, der mit hoher Wahrscheinlichkeit wahr ist. Aber es bleibt eine minimale Restgröße, in der etwa die Münze auf keinen festen Untegrund fällt und verschwindet, oder die Münze auf dem Rand stehen bleibt, oder im Flug von einer Elster geklaut worden ist. So unwahrscheinlich diese Fälle auch sein mögen: Sie reichen aus, um diesen Fall von einem solche zu unterscheiden, in dem der Satz vom ausgeschlossenenen Widerspruchn zur Anwendung kommt.
Denn der Satz vom zu vermeidenden Widerspruch ist nicht ein Gesetz der Wirklichkeit, sondern des Denekns. Er gilt - sofern er überhaupt gilt - nur und ausschließlich im Denken. Bei der Münze kann man - nachdem sie gefallen ist - in der Regel sehen,was der Fall ist, ob sie nun den Kopf zeigt oder die Zahl (oder - wenn man die Restgröße einbezieht - keines von beiden). Das ist bei einem Fall des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch nicht der Fall. Da kann man nur einen Fall sehen. Die entsprechende Formulierung, die dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch entspricht, lautet: Entweder die Münze zeigt die Zahl oder sie zeigt nicht die Zahl, sondern es ist irgendwie anders. Letzteres kann man nicht sehen oder anderwie sinnlich wahrnehmen. Man kann es nunr denknen.Und es enthält sogar einen minmalen Schluss. Man kann etwa sehen: Die Münze steht af ihrem Rand. Der Schluss geht dann weiter: Also zeigt sie nicht die Zahl. Natürlich kan es auch sein, dass die Münze gar nicht mehr zu sehen ist. Auch dann zeigt sie nicht die Zahl etc. Alle - unterschiedenen - Fälle, in denen die Münze nicht die Zahl zeigt, sind zu einem Fall zusammengefassst. Dieser FAll ist der, dasss die Münze nicht die Zahl zeigt, und dieser Fall läßt sch nur denken. Denn es ist darin ein e Schlussfolgerung enthalten.
Was aber soll das, so unterschiedliche Fälle in einen Fall - in unserem Fall den negativen Fall - zusammenzufassen? Wenn einer der Fälle des Satzes vom ausgeschlossenene Widerspruch nicht gilt, dann stimmt notwendig der andere Fall. Deswegen ist es wichtig, dass der eine Fall so formuliert sit, dass er tatsächlich nur das Negative des anderen Falls darstellt, und nicht selbst positiv bestimmt ist. Wenn die Münze Zahl zeigt, dann ist dies der positiv bestimmte Fall. Wenn die Zahl nicht zu sehen ist, dann ist der positiv bestimmte Fall nicht eingetreten, sondern irgendetwas anderes. Der Satz "Entweder zeigt die Münze Zahl oder sie zeigt nicht Zahl." gilt nach dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch ausnahmslos; denn er besteht aus zwei Fällen, wobei der zweite Fall das Nicht-Bestehen des ersten Falls ist. Entweder besteht der erste Fall, dann ist der Satz deswegen wahr. Oder er besteht nicht, dann ist der Satz deswgen wahr. Also ist der Satz immer wahr. Denn neienr der beiden Fälle muss notwendig bestehen.
3. Widerspruch gegen den Satz vom Widerspruch?
Erschrocken mag sich nun der Leser oder die Leserin fragten: Aber klang das nicht am Anfang so, als ob die Dialektik dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch widersprechen wolle? Wie soll das im Falle des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch möglich sein? Denn der Versuch, dem Satz vom ausgeschlossenen Widerpruch zu widersprechen, verwandelt sich selbst - so scheint es - in einen Fall der Anwendung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch. Wenn bestritten wird, dass der Satz vom ausgeschlossenene Widerpsruch gilt, dann wird offenbar behauptet, dass er nicht gilt. Diese Behauptung wird der Behauptung entgegengestellt, dass er immer gilt. Es ist also ein Fall, indem dem Satz vom Widerspruch widersprochen wird, wobei offenbar zugleich vorausgesetzt wird, dass er entweder gilt oder nicht gilt. Mithin widerspreche ich dem Satz vom Widerspruch, und setze zugleich seine Wahrheit voraus. Denn die Bestreitung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch wäre selbst ein Fall des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch und würde ihn auf diese Weise bestätigen. Die Selbstzweifel einer dialektischen Philosophie, die dem Satz vom aussgeschlosseenen Widersperuch widersprechen wollte, sind also alles andere als unangebracht. Dem Satz vom Widerspruch unmittelbar widersprechen zu wollen, ohne ihn selbst in seienr Wahrheit vorauszusetzen, ist unmöglich.
Der Dialektiker hat sich also womöglich geirrt und muss sich umgekehrt fragen, ob er nicht verblendet wahr, als der dem Satz vom ausgeschlosseneen Widerspruch widersprach. Vielleicht stimmt der Satz ja doch? Der Dialektiker wird also vom Vertreter der formalen Logik lernen. Er wird sich mit der Begründung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch befassen.
4. Die Begründung des Aristoteles
Warum also gilt der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch immer? Auf diese Frage hin wird der formale Logiker nachdenklich bemerken: Das ist nicht einfach zu sagen, oder vielleicht besser: Es ist ganz einfach zu sagen. Man kann den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch gar nicht begründen. Denn eine unmittelbare Begründung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch würde ihn genauso voraussetzen wie seine Bestreitung. Es kann also nicht darum gehen, den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch unmittelbar zu begründen oder zu bestreiten. Aber es gibt ein zwingendes Argument für den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch: Wir können nicht miteinander sprechen, wenn wir den Satz vom ausgeschlosseenen Widerspruch nicht anerkennen. Dieses Argument hat Aristoteles entwickelt. Da es zu den klassischen Arguemten der Philosophiegeschichte gehört, wird es hier zitiert und ein wenig kommentiert. Es wird - mit neuen Fremdwörtern versehen - im Prinzip bis heute genauso vorgetragen, wie Aristoteles es gebracht hat.Aristoteles beginnt seine Argumentation so[1]
"Nun gibt es aber, wie gesagt, einige, welche es für möglich erklären, dass daselbe sei und nicht sei und das man dies so annehme.Auch vioele von den Physikern bedienen sich dieses Satzes. Wir dagegen haben angenommen, es sein unmöglich, dass etwas zugleich sei und nicht sei, und haben hieraus erwiesen, dass dies das sicherste unter allen Priionzipien ist. Manche verlangen nun aus Mangel an Bildung, man solle auch dies beweisen; denn Mangel an Bildung ist es, wenn man nicht weiß, wofür ein Beweis zu suchen ist und wofür nicht. Denn dass es für überhaupt alles einen Beweis gebe, ist unmöglich, sonst würde ja ein Fortschritt ins Unendliche eintreten und auch so kein Beweis stattfinden. Wenn aber für manches kein Beweis gesucht werden darf, so möchten sie wohl nicht angeben können, was sie denn mit mehr Recht für ein solches Prinzip halten wollten.
Einige bestreiten den Satz vom ausgeschlossenene Widerspruch. Aristoteles und seine Schule aber behaupten ihn, und behaupten sogar, dass er das sicherste aller Prinzipien sei. Manche verlangen einen Beweis, und zeigen dadurch ihre mangelnde Bildung. Dennn offenbar wisen sie nicht, dass man nicht alles beweisen kann, weil man Voraussetzungen braucht, aus denen man Beweise führen kann. Wollte man diese Voraussetzungen wieder zu beweisen versuchen, so bedürfte dies weiterer Voraussetzungen usw. usf. ins Unendliche. Wenn aber die Beweiskette in eine Unendlichkeit zurückgeht, dann hängt sie in der Luft. Sie verliert ihren Beweischarakter. Also muss das Beweisen von irgendetwas ausgehen, was selbst nicht beweisbar ist. Man muss wissen, was man beweisen kann und was nicht. Sonst zeigt man sich als ungebildet. Und was könnte mehr Recht auf den Status eines Prinzips haben, als der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch. Ein direkter Bewweis scheidet also aus. Aber da es sowieso Unbeweisbares geben muss, woraus nänmlich Beweise letztlich geführt werden, so ist schwer zu sehen, warum dieses Prinzip nicht dazu gehören soll. Aber mit dieser Arguemtation ist Aristoteles nicht zufrieden. Denn auch wenn ein direkter Beweis nicht geführt werden kann, so doch ein negativer. Aristoteles fährt daher fort:
"Doch ein widerlegender Beweis für die Unmöglichkeit der Behauptung lässt sich führen, sobald der dagegen Streitende nur überhaupt redet; wo aber nicht, so wäre es ja lächerlich, gegen den reden zu wollen, der über nichts rede steht, gerade insofern er nicht Rede steht; denn ein solcher ist einer Pflanze gleich. Den widerlegenden Beweis unterscheide ich von dem eigenetlichen direkten Beweis; wollte man diesen führen, so würde man das zu erweisende vorauszusetzen scheinen; ist aber der andere, streitende schuld daran, so ergibt sich eine Widerlegung, aber nicht ein eigentlicher Beweis."
Aristoteles unterscheidet nun einen direkten von einem indirekten oder widderlegenden Beweis. Während der direkte Beweis das zu Beweisende voraussetzen würde, entfällt diese Form des Beweises. Die indirekte Form des Beweises ist an eine Voraussetzung gebunden. Der dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch Bestreitende muss sprechen. Wenn er erst einmal spricht, so Aristoteles, dann ist er verloren. Wenn er aber nicht spriocht, dann ist er nicht nur ungebildet, sondern überhaupt nicht ernst zu nehmen. Denn dann wäre er ja stumm wie eine "Pflanze". Man könnte mit ihm nicht streiten. Wenn aber aber spricht, dann ist er schukld am Gespräch und also auch an den Bedingungen des Gesprächs, und dazu gehört eben auch der Satz vom Widerspruch. Aristoteles fährt fort:
"Der Ausgangspunkt bei allen derartigen Diskussionenen ist nicht, dass man vom Gegener verlangt, er solle erklären, dass etwas sei oder nicht sei (denn dies würde man schon für eine Annahme des zu Beweisenden ansehen), sondern dass er im Reden etwas bezeichne für sich wie für einen anderen; denn das ist ja notwendig, sofern er überhaupt etwas reden will. Wo nicht, so hätte ja ein solcher gar keine Rede, weder zu sich selbst, noch zu einem anderen. Gibt jemand einaml dies zu, so lässt sich ihm auch die Wahrheit des Axioms erweisen; denn es ist dann schon etwas fest bestimmt. Die grundlage zum Beweisen aber gibt nicht der Beweisende, sondern der, welcher Rede steht; denn er steht Rede, obgleich er doch die Rede aufhebt."
Man darf also - so rät Aristoteles - nicht selbst etwas verlangen, sondern muss abwarten, bis der Gegner etwas sagen will. Denn wenn er etwas sagt, dann muss er dazu etwas fest bestimmen, oder wie man auch sagt, fixieren. Sonst könnte er davon nicht sprechen. Wenn er nichts sagen will, kann er gar nicht sprechen und ist wie eine Pflanze. Wenn er etwas fest bestimmen muss, danmn ist er in er Falle. Den n dann muss er dies, was er fest bestimmt hat, behaupten und kann es nicht zugleich bestreiten. Der Satz vom Widerspruch gilt also, weil es notwendig ist, etwas zu fixieren, "fest zu bestimmen", wenn man davon sprechen will.
Der gegener wird zunächst als ungebildet bezeichenet, dann zur Pflanze degradiert, und dann mit einem indirekten Argument überführt. Aber zunöächst gibt Aristoteles zu, dass sein erstes Argument für wie gegen den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch gilt. Er läßt sich unmittelbar weder beweisen noch bestreiten. Es hängt mit der Sprache zusammen, dass man sich - um sich in ihr mitzuteilen oder sich in ihr mit sich selbst zu verständigen - etwas fest bestimmen und dann als so bestimmt behaupten mus, um es bezeichnen zu können. Wer also sprechen will, der muss dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch folgen.
5. Probleme mit dem Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch
Das Argument von Aristoteles ist - wenn auch nicht gerade angenehm und schön, so doch - stark. Und man wird zugeben müssen: Wenn es in einem Gespräch um das "Recht haben" geht, dann ist der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch unabdingbar notwendig und gültig. Wieso bestreitet dann aber die dialektische Philosophie die universelle Gültigkeit des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch? Mit dieser Frage wendet man sich an die dialektische philosophische Tradition, die sich - so ist zu erwarten - mit diesem Problem auch schon auseinanderssetzen musste. Vielleicht gewinnt man aus den dabei entwickelten Argumenten einen Zugriff auf die Frage, was sich gegen die universelle Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch anführen lässt.
Danach kann man versuchen, mit Verttretern des Satzes vom ausgeschliossenen Widerspruch in einer Form zu sprechen, die als solche nicht unbedingt eine Bestätigung des Satzes ist, dem man seine unverselle Gültigkeit absprechen will, wie Aristoteles dies behauptet. Denn um Wissenschaft betreiben zu können, muss man - darin ist Aristoteles zuzustimmen - sprechen. Es widerspricht dem Gedanken der Wissenschaft, dass sie nicht vermittelbar ist. Wissenschaft bedarf der Sprache, um vermittelbar zu sein. Also kann man die Sprache nicht aufgeben und den Vertretern des Satzes vom ausgeschlossenen Widerspruch überlassen, ohne den Anspruch auf Rationalität und Wissenschaftlichkeit aufzugeben. Aber die Form, die Sprache zu verwenden, auf die sich Aristoteles bezieht, ist vielleicht nicht die einzige Form wissenschaftlichen Sprechens, sondern nur eine spezifische. Wenn also die Argumente gegen den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch klar und deutlich sind, dann ist es vielleicht auch möglich, über einen anderen Sprachgebrauch in der Wissenschaft nachzudenken, als den von Aristoteles angeführten.
Es können nicht alle Probleme, die in der Tradition angeführt worden sind, hier angeführt werden. Hier beschränkt sich das Interesse aber auch auf drei wesentliche Probleme, nämlich das Denken der Bewegung, des Verhältnisses und der Entwicklung. (Für die Hegelsche Philosophie kommt ein wichtiges Problem dazu, das hier als solches nicht behandelt wird, nämlich das Denken des Denkens.)
5. a. Der fliegende und ruhende Pfeil
Aristoteles war nicht der erste Philosoph, der den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch formuliert hat. Am Anfang dieser Entwicklung steht vielmehr der Philosoph, der die Philosophie als Wissenschaft begründet hat (wenn man die Philosophie als Wissenschaft anerkennen will). Dieser Philosoph war Parmenides, der um ca. 500 vor Christus ein philosophisches Lehrgedicht verfasst hat, in dem er den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch vorbereitet. (Parmenides gehört zu den sogenannten Vorsokratikern, die uns nur durch Fragmente und Beschreibungen in Schriften anderer Philosophen bekannt sind. Diese Zitate und Beschreibungen der philosophischen Position der Vorsokratiker sind in einem Werk der Altphilologen Diels und Kranz herausgegeben worden. In diesem Werk sind die Zitate der Philosophen unter einer Nummer, die für den Namen des Philosophen steht, dem A für Originalzitate und einer Nummer für das bestimmte Zitat gesammelt. Handelt es sich um eine Beschreibung seines Lebens oder seiner Position durch einen anderen Schriftsteller, so wird an der Stelle des A für Originaltexte ein B für Wiedergaben durch andere Schriftsteller gesetzt. In dieser Form werden diese Zitate heute angeführt. (z.B. DK 28, B 28).) Parmenides formuliert seine Philosophie in einem Lehrgedicht, das zu zahreichen Reflexionen Anlass gibt. Für den gegenwärtigen Zusammenhang sind vor allem zwei Positionen des Parmenides von Bedeutung. Die erste Formulierung benennt das wissenschaftliche Prinzip des Parmenides. Der Kirchenvater Clemens von Alexandia fasst es so zusammen: "Denn dasselbe ist Denken und Sein". (DK, 28 B 3) Dieser Satz wird in den verschiedensten Wendungen wiedergegeben. Wie immer er interpretiert werden kann: Er besagt zunächst nichts anderes als, dass nur das ist, was auch gedacht werden kann. Alles andere hat keine wahre Wirklichkeit; es ist nur Schein, d.h. es sieht - wenn auch vielleicht aus objektiven Gründen - nur so aus, als ob es wäre. Es ist nur, was auch gedacht werden kann, und was nicht gedacht werden kann, das ist auch nicht.
Der zweite Satz bereitet den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch vor. Diesen Satz formuliert Parmenides nach Simplikios folgendermaßen: "Denn das Sein ist und das Nichtsein ist nicht". (DK, 28, B 6) Dieser Satz dient Parmenides zur Grundlage der Entscheidung, ob etwas ist oder nicht. Alles, was ein Sein des Nichtseins voraussetzt, ist nicht. Zum Beispiel gibt es die Bewegung in Wahrheit nicht, weil die Bewegung bedeutet, dass etwas hinterher nicht an dem Ort ist, an dem es vorher war. Bewegung setzt also Verneinung voraus. Da es Verneinung nicht geben kann (denn das Nichtsein ist nicht), kann es auch Bewegung nicht geben. Also gibt es Bewegung nicht, denn sie läßt sich nicht denken.
Man kann nun auf diese Überlegungen reagieren, indem man Sache beiseite legt und sich denkt: Die Philosophen sind eben merkwürdige Leute. Die denken, weil sie etwas nicht denken können, kann es das auch nicht geben. Das so eine Art Berufskrankheit. So kann man es sehen. Man kann aber auch umgekehrt folgendermaßen reagieren: So hat die Philosophie angefangen! Aber dabei kann es nicht geblieben sein. Wie ist es denn weitergegangen? Für die Betrachtung philosophischer Gedanken ist die Bereitschaft nützlich, auch "falsche" Gedanken zu durchdenken, weil man nur durch die gedankliche Überwindung des Falschen zur Wahrheit kommt.
Dem Arguemt des Parmenides wurde, wie nicht anders zu erwarten ist, von Anfang an widersprochen. Zenon von Elea, ein Schüler des Parmenides, wollte es mit mehreren Beweisen stützen, die als die sogenanten Zenonischen Paradoxien in die Geschichte der Philosophie eingegangen sind. (Am berühmtesten und anschaulichsten ist die Geschichte, dass der schnellfüssige Achill die langsame Schildkröte dann nicht einholt, geschweige denn überholt, wenn die Schildkröte einen Vorsprung hat.) Eine der Paradoxien ist der sogenannte fliegende Pfeil. Zenon analysiert darin die Widersprüche des Begriffs der Bewegung, um dadurch zu beweisen, dass es Bewegung nicht geben kann, wie ja schon Parmenides behauptete. Die Beweisführung geht folgendermaßen vor sich: Ein Pfeil soll angeblich fliegen. Dann würde er sich in der Zeit t(1) bis t(n) von dem Ort P(1) zum Ort P(n) bewegen. Nimmt man aus dem Zeitraum t(1) bis t(n) einen beliebigen Zeitpunkt heraus, zum Beispiel t(i), so befindet sich der Pfeil an dem Ort P(i). Er bewegt sich nicht zum Zeitpunkt t(i), sondern ruht am Ort P(i). Nimmt man einen anderen Zeitpunkt, etwa t(j), so ruht der Pfeil an dem Ort P(j), und nimmt man schließlich den Zeitpunkt t(k), so ruht der Pfeil an dem Ort P(k). Welchen Zeitpunkt auch immer man herausgreift: Immer ruht der Pfeil an einem bestimmten Ort. Es gibt keinen Zeitpunkt, zu dem der Pfeil nicht ruht. Also bewegt er sich niemals. Er scheint sich bloß zu bewegen, aber er bewegt sich nicht. Der antike Philosophiegeschichtler Diogenes Laertios fasst das Argument Zenons so zusammen: "Zenon hebt die Bewegung auf, indem er sagt, das Sichbewegende bewegt sich weder an dem Ort, wo es ist, noch an dem, wo es nicht ist." (DK 29 B 4) Demnach würde sich also das Sichbewegende überhaupt nicht bewegen, und das führt zu einem Widerspruch gegen die Voraussetzung, dass es sich bewegen soll. Also kann es Bewegung in Wahrheit nicht geben.
Dass dieser Beweis falsch ist, scheint festzustehen. Aber warum ist er falsch? Man kann sich nun sagen: Weil er nicht empirisch ist. Anstatt zu denken, sollte man lieber hinschauen. Und dann auf das philosophische Denken verzichten. Oder man kann sich die Wderlegung praktisch darstellen, indem man - anstatt zu diskutieren - aufsteht und sich bewegt, wodurch man sich und anderen praktisch zeigt, dass es möglich ist, sich zu bewegen. Oder man kann sich mit den gedanklichen Voraussetzungen beschäftigen, die Zenon zu diesem Beweise führen. Eine solche Widerlegung ist im eigentlichen Sinne eine philosophische Widerlegung. Zewon setzt in seinem Beweis voraus, dass man den Zeitpunkt t(i) festlegen kann. (Diese Voraussetzung greifen Aristoteles und Hegel mit Recht an. Hier soll diese Voraussetzhung aber mitgemacht werden.) Dieser Zeitpunkt hat keien Ausdehnung. Zu diesem Zeitpunkt muss der Pfeil an einem bestimmten Ort sein. Denn aufgrund der Ausdehnungslosigkeit des Zeitpunktes kann der Pfeil sich nicht an verschiedenen Orten befinden. Denn das würde dem Satz vom zu vermeidenden Widerspruch widersprechen. Also kann es Bewegung nicht geben.
Der Zeitpunkt t(i) soll also fixiert sein. Dann soll der Pfeil auch an dem Ort P(i) fixiert sein. Da der Zeitpunkt beliebig gewählt werden kann, kann er in eine Variable verwandelt werden. Zum Zeitpunkt t(x) ruht der Pfeil am Ort P(x), wobei sich t(x) und P(x) entsprechen sollen. Da alle Zeitpunkte während der Bewegung Fälle von T(x) sind, sind auch alle Orte der Bewegung Fälle von P(x). Damit Bewegung denkbar ist, muss gedacht werden können, dass der Pfeil zum Zeitpunkt t(x) an dem ihm entsprechenden Ort P8x) ist und nicht ist zugleich. Sonst kann die Bewegung des Pfeiles nicht gedacht werden. Denn sonst ergibt sich nur eine - vielleicht unendliche - Reihung von ruhigen Zuständen, die aber keine Bewegung zu denken möglich macht. Bewegung würde andernfalls als ein Fall von Ruhe gedacht, d.h. Bewegung würde als eine unendliche Reihung unbewegter Zustände gedacht. Bewegung wird also auf diese Weise als Ruhe, als ihr eigenes Gegenteil gedacht. (Die Bewegung schlägt durch die Form des Denkens in ihr eigenes gegenteil um.)
Soll die Bewegung als Bewegung gedacht werden und zugleich der Zeitpunkt t(i) fixiert werden, so muss man einräumen, dass der Widerspruch zu denken ist. Der Pfeil muss dann an dem Ort P(i) sein und nicht sein, sonst ist es nicht möglich, Bewegung zu denken. Da alle Prozesse auf Bewegungen abbildbar sind, gilt das für alle Prozesse. Und da es nichts gibt, was nicht ein Prozess wäre (was also nicht Anfang und Ende hätte oder Einheit von Sein und Nichtsein wäre), gilt das für alles, was es gibt. Hegel drückt dies ion seiner Logik so aus: "Es muss dasselbe ... vom Sein und Nichts gesagt werden, dass es nirgend im Himmel und auf Erden etwas gebe, was nicht beides, Sein und Nichts, in sich enthielte." Hegel, Wissenschaft der Logik Band 1, in: Hegel, Werke in 20 Bänden, Suhrkamp Theorie Werkausgabe, S. 86). Es gibt nichts, was nicht einen Widerspruch enthielte; denn es gibt nichts, was nicht in Wahrheit ein Prozess wäre, d.h. was nicht einen Anfang und ein Ende hätte.
Alles, was in Bewegung ist - und alles, was es gibt, ist in Bewegung -, enthält einen Widerspruch. Man kann es allerdings so betrachten, als wäre es nicht in Bewegung, und man muss es so betrachten, um es - unabhängig von seiner eigenen Entwicklung - bestimmen zu können.[2] Um die Bewegung zu denken muss man den Satz vom Widerspruch einerseits anwenden, andereseits ihm widersprechen, beides zugleich.
5. b. "Größer sein" und "kleiner sein"
Was für die Bewegungen und Prozesse gilt, trifft auch für Verhältnisse zu.[3] Um das Problem aufzuzeigen, ist es vielleicht am einfachsten, man nimmt einen Beispielsatz, der in der analytischen Philosophie berühmt ist. So ein Beispielsatz ist etwa der Satz: "Die Sonne ist größer als die Erde." Dieser Satz bezeichenet ein Größenverhältnis, nämlich dies, dass die Sonne größer ist als die Erde, aber er tut dies von der Sonne aus. Er geht von der Sonne aus, setzt sie als Maßstab, mit dem die Größe der Erde verglichen wird, und stellt fest, dass die Erde nicht so groß ist wie die Sonne. Damit verkehrt sich zugleich das Verhältnis in sich selbst. Denn vom Standpunkt der Erde betrachtet ist das Größenverhältnis auf diese Weise einseitig gedacht. Wird dasselbe Größenverhältnis von der Erde aus gedacht, so wird die Größe der Erde als Ausgangspunkt genommen und mit der Größe der Sonne verglichen. Es stellt sich dasselbe Größenverhältnis in dem Satz: "Die Erde ist kleiner als die Sonne." dar. Das Größenverhältnis als solches ist also weder in dem einen noch in dem anderen Satz vollständig ausgedrückt. Beide Sätze formulieren das Größenverhältnis nur einseitig, nämlich nur von einem Standpunkt aus.
Dieser Standpunkt ist keineswegs ein äußerlicher, sondern ist im Gegenteil einer, der in dem Größenverhältnis selbst liegt. Denn das Verhältnis stellt sich dar als die Beziehung zwischen zwei verschieden großen Gegenstüänden. Es liegt daher - wenn man so will - in der Natur des Verhältnisses, dass es sowohl von dem einen Gegenstand aus betrachtet werden kann, als auch von dem anderen aus. Es gibt also aus logischen Gründen zwei Gesichtspunkte, von denen aus das Verhältnis formuliert werden kann. Das eine Größenverhältnis wird daher notwendig formuliert als ein Verhältnis des "Größerseins" einerseits und ein Verhältnis des "kleinerseins" andererseits. Genau genommen muss man, um das Verhältnis vollständig auszudrücken, beide Gesichtspunkte formulieren oder denken. Dann aber behandelt man das eine Größenverhältnis als zwei, einerseits ein "Größersein" und andererseits ein "Kleinersein". Es entsteht bei dem Versuch der vollständigen Formulierung des Größenverhältnisses eine Formulierung, die zwei Größenverhältnisse zu formulieren scheint. Das eine Größenverhältnis stellt sich in den Formulierungen "Die Sonne ist größer als die Erde." und "Die Erde ist kleiner als die Sonne." vollständig dar. Es erscheint in der logischen Form zweier Größenverhältnisse. Es handelt sich jedoch nur um zwei entgegengesetzte Betrachtungsweisen des einen Größenverhältnisses, so dass der Eindruck, dass es sich um zwei Größenverhältnisse handelt, zugleich verneint wird: Es sind nicht zwei Größenverhältnisse, sondern ein und dasselbe.
Nun wird man sich die Frage stellen: Wozu der ganze Aufwand? Kann man nicht einfach sagen: Größenverhältnis x/y? Nein, das kann man nicht. Denn einer der beiden Gegenstände, die in dem Größenverhältnis stehen, gilt gewissermaßen als der Maßstab. Also muss von einem der beiden Gegenstände ausgegangen werden, und je nachdem, welcher genommen wird, stellt sich dasselbe Größenverhältnis als ein Größersein oder als ein Kleinersein dar. Um also das bestimmte Verhältnis angeben zu können, und darum handelt es sich ja, müssen die Gegentstände angegeben werden, die in dem bestimmten Größenverhältnis stehen. Es bedarf also sowohl der Verneinung der gedoppelten Formulierung des Größenverhältnisses, um das Verhältnis als solches zu denken, wie auch der Formulierung der beiden Aspekte des Größenverhältnisses, um es als bestimmtes Größenverhältnis denken zu können. Mit anderen Worten: Das Verständis des Satzes "Die Sonne ist größer als die Erde." erfordert das Verständnis eines Widerspruchs. Man kann - wenn einem das nicht gefällt - so tun als wäre das nicht so. Man kann davon abstrahieren, wenn man es nicht so genau nimmt. Aber man muss dann auch von seinem eigenene Tun im Denken abstrahieren. Und um zu bestreitren, dass Widersprüche gedacht worden sind, muss man dieses Abstrahieren anschließend vergessen. Man gerät in eine Doppelung auch hinsichtlilche seines eigenen Denkens, weil man sich sein eigenes Denken im Nachdenken über das eigene Denken anders denkt, als man wirklich denkt, obwohl es sich doch um dsaselbe Denken handeln sollte.
Bei Größenverhältnissen mag dieses Problem nur einen ideellen Charakter haben, der für die Philosophie zwar ausreichend problematisch ist, in der Praxis aber angeblich nur eine untergeordnete Rolle spielen könnte. Die oben angestellten Überlegungen gelten aber für alle Verhältnisse. Bei anderen Verhältnissen ist es durchaus von praktischer Bedeutung, dass beide Persprektiven einerseits dasselbe Verhältnis siond, andererseits aber als zwei Verhältnisse gedacht werden können. Bei ökonomischen Krisen handelt es sich unter anderem um die Trennung von Kauf und Verkauf, die Krisen möglich machen. Bei dem Verhältnis der Menschen zur NAtur geht es eignerseits um ökonomische Verhältnisse, andereseits um ökologische Verghältnisse, und beide Verhältnisse sind dieselben Verhältnisse, nur unter verscheidenen Gesichtspunkten nicht nur betrachtet, sondern auch behandelt. Dieser Unterschied ist also durchus nicht nur ideeller Art, er ist - oder kann es werden - ebenso praktischer Art.
5. c. Entwicklung
wird fortgesetzt
- ↑ Metaphysik, Buch IV, Kapitel 4, 1006a, Übersetzung: Horst Seidl
- ↑ An die Stelle der Bestimmung durch die Bewegung, der etwas seine Entstehung verdankt, titt in dieser theoretischen Betrachtungsweise die Bestimmung durch das Denken nund seine Operationen, die die Existenz des zu bestimmenden Voraussetzen.
- ↑ Das ist in gewisser Weise nicht verwunderlich. Denn Verhältnisse lassen sich als als Beziehung von Anfang und Ende von Veränderungen denken, bei denen die Veränderung selbst weggelassen ist oder bloß ideell gedacht ist.