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(5. Die Erscheinungsweise des Neuen in der Arbeitsorganisation)
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===5. Die Erscheinungsweise des Neuen in der Arbeitsorganisation===
 
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Von diesen Veränderungen, die die allgemeine Lebensweise der Menschheit ebenso betrifft, wie die Arbeitssituation vieler Menschen, möchte mich in der Darstellung den Veränderungen in der Arbeitssituation zuwenden, weil ich
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Von diesen Veränderungen, die die allgemeine Lebensweise der Menschheit ebenso betrifft, wie die Arbeitssituation vieler Menschen, möchte ich mich in der Darstellung den Veränderungen in der Arbeitssituation zuwenden, weil ich
 
1. glaube, dass sie da am einfachsten zu erfassen ist,
 
1. glaube, dass sie da am einfachsten zu erfassen ist,
 
2. annehme, dass dort die Veränderungen eintreten werden, die uns
 
2. annehme, dass dort die Veränderungen eintreten werden, die uns
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von den arbeitenden Menschen ausgehen muss.
 
von den arbeitenden Menschen ausgehen muss.
   
Eine Erscheinungsweise der eben behaupteten Entwicklung der Produktivkraft liegt in dem Inhalt der Arbeit selbst. Die Arbeit vieler „Arbeitnehmerinnen“ und „Arbeitnehmer“<ref>
 
 
Eine Erscheinungsweise der eben behaupteten Entwicklung der Produktivkraft liegt in dem Inhalt der Arbeit selbst. Die Arbeit vieler „Arbeitnehmerinnen“ und „Arbeitnehmer“ ist derart kompliziert geworden, dass es nicht mehr möglich ist, diesen Menschen Anweisungen zu geben, was sie zu tun haben. Denn das Verständnis der Arbeitsvorgänge ist so schwierig, dass ein Vorgesetzter oder eine Vorgesetzte sie nur selten besser versteht als die Beschäftigten, die diese Arbeit ausführen müssen. Im Gegenteil: Oft ist das nicht der Fall. Vorgesetzte sind beim Verständnis der Arbeit auf Erläuterungen ihrer Beschäftigten angewiesen. Daraus – so scheint es - ergibt sich ein Problem für die Organisation der Tätigkeiten in großen Unternehmen. Aber es hat sich gezeigt, dass dieses Problem lösbar ist. Es ist nicht nur lösbar, sondern wenn es gelöst wird, dann steigert das überdies auch den Gewinn großer Unternehmen beträchtlich – so beträchtlich, dass die neuen Formen auch überschwappen in andere Bereiche der Produktion. Auch Unternehmen, deren Beschäftigte keineswegs so komplizierte Arbeiten zu leisten haben, behandeln ihre Beschäftigten entsprechend anders um des so zu steigernden Profites willen. Es entsteht deswegen eine neue Unternehmenskultur, die als Übergang vom abhängig Beschäftigten zum selbständigen Mitarbeiter erscheint. Auch wenn also die Veränderungen in der Produktion sich in ihrer Entstehung sehr komplexen und hoch spezialisierten Arbeitszusammenhängen verdanken, so ist nicht dies die Ursache für die Allgemeinheit des Wandels der Unternehmenskulturen. Die Steigerung der Gewinne der Unternehmen, die so organisiert sind, sorgt dafür, dass die neue Selbständigkeit der abhängig Beschäftigten mehr und mehr in allen Bereichen der Produktion und in fast allen Unternehmen, Platz greift. (Dabei unterschätze ich nicht, dass eine solch grundlegende Veränderung nur nach und nach und mit vielem Hin und Her eingeführt wird. Ich behaupte jedoch, dass an der Richtung der Entwicklung letztlich nicht gezweifelt werden kann.)
Der Ausdruck „Arbeitnehmer“ ist verräterisch. Denn er verstellt den Blick darauf, dass das Arbeiten eine Tätigkeit menschlicher Individuen ist. „Arbeit“ erscheint als eine – im Eigentum des „Arbeitgebers“ befindliche – Gelegenheit, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Die Menschen, die arbeiten, erscheinen als Anhängsel der Arbeit, der sie nachgehen. In Wirklichkeit ist Arbeiten eine Tätigkeit arbeitenden Menschen, die also „Arbeit geben“, während die so genannten „Arbeitgeber“ dieselbe „Arbeit nehmen“ und durch Lohn nur teilweise entgelten. Die Verkehrung dieses Verhältnisses ist lehrreich. Die Entfremdung kommt darin in einem Abbild gut zum Ausdruck: Was eine Tätigkeit der Menschen ist, erscheint als Eigentum anderer Menschen. Dennoch werde ich im Weiteren von Arbeiterinnen und Arbeitern oder einfach Beschäftigten sprechen. Dabei kommt es mir darauf an, dass es sich um gesellschaftlich produzierende Individuen handelt, die also nicht privat produzieren, sondern gemeinsam mit anderen.</ref>
 
ist derart kompliziert geworden, dass es nicht mehr möglich ist, diesen Menschen Anweisungen zu geben, was sie zu tun haben. Denn das Verständnis der Arbeitsvorgänge ist so schwierig, dass ein Vorgesetzter oder eine Vorgesetzte sie nur selten besser versteht als die Beschäftigten, die diese Arbeit ausführen müssen. Im Gegenteil: Oft ist das nicht der Fall. Vorgesetzte sind beim Verständnis der Arbeit auf Erläuterungen ihrer Beschäftigten angewiesen. Daraus – so scheint es - ergibt sich ein Problem für die Organisation der Tätigkeiten in großen Unternehmen. Aber es hat sich gezeigt, dass dieses Problem lösbar ist. Es ist nicht nur lösbar, sondern wenn es gelöst wird, dann steigert das überdies auch den Gewinn großer Unternehmen beträchtlich – so beträchtlich, dass die neuen Formen auch überschwappen in andere Bereiche der Produktion. Auch Unternehmen, deren Beschäftigte keineswegs so komplizierte Arbeiten zu leisten haben, behandeln ihre Beschäftigten entsprechend anders um des so zu steigernden Profites willen. Auch wenn also die Veränderungen in der Produktion sich in ihrer Entstehung sehr komplexen und hoch spezialisierten Arbeitszusammenhängen verdanken, so ist nicht dies die Ursache für die Allgemeinheit dieser Veränderung. Die Steigerung der Gewinne der Unternehmen, die so organisiert sind, sorgt dafür, dass diese Veränderung mehr und mehr in allen Bereichen der Produktion und in fast allen Unternehmen, Platz greift. (Dabei unterschätze ich nicht, dass eine solch grundlegende Veränderung nur nach und nach und mit vielem Hin und Her eingeführt wird. Ich behaupte jedoch, dass an der Richtung der Entwicklung letztlich nicht gezweifelt werden kann.)
 
   
Diese Veränderung hat ihre Ursache auch nicht in erster Linie in der veränderten Technik. Es wird mitunter gesagt, dass „der Computer“ und „die Digitalisierung“ für die Veränderungen in der Arbeitsorganisation verantwortlich zu machen seien. Zum einen könnte ich fragen: Und worin hat der Computer seine Ursache? Ich würde dann wieder auf die Fähigkeiten der produzierenden Menschen selbst zurückgeführt, die den Computer produzieren. Aber dieses Argument ist unzureichend. Denn das trifft auch beim Fließband zu. Auch das Fließband war ein Produkt der Menschen und verkörperte menschliche Fähigkeiten. Und doch wurde durch das Fließband den Individuen, die an ihm gearbeitet haben, der Platz in der Produktion und die Tätigkeit ebenso angewiesen wie Art und Geschwindigkeit der Tätigkeit. Es verändert sich jedoch das Verhältnis der Arbeiterinnen und Arbeiter zur Technik in der Produktion. Im Falle der am Fließband organisierten Produktion benutzt die Unternehmensführung unter anderem die Technik und die Maschinerie, um die Beschäftigten dem Zweck des Unternehmens entsprechend einzusetzen und ihr Verhältnis zueinander zu regeln. Denn die Kooperation der Individuen richtet sich beim Einsatz des Fließbandes nach der Maschinerie, als deren Anhängsel die einzelnen Beschäftigten erscheinen. Diese Funktion des Fließbandes hat sich als eine Bremse für die Steigerung der Gewinne erwiesen. Jetzt werden die Menschen in den Unternehmen nicht mehr vermittels Technik dem Unternehmenszweck untergeordnet oder – wie ich das mit Karl Marx und Friedrich Engels nennen möchte<ref>Diesen Ausdruck benutzen Karl Marx Karl und >Friedrich Engels sehr häufig. vgl. z. B. Marx, Friedrich Engels, Die Deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S.66f</ref>
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Diese neue Selbständigkeit der Beschäftigten hat ihre Ursache nicht in erster Linie in der veränderten Technik. Es wird mitunter gesagt, dass „der Computer“ und „die Digitalisierung“ dafür verantwortlich zu machen seien. Zum einen könnte ich fragen: Und worin hat der Computer seine Ursache? Ich würde dann wieder auf die Fähigkeiten der produzierenden Menschen selbst zurückgeführt, die Computer produzieren. Aber dieses Argument ist unzureichend. Denn das trifft auch beim Fließband zu. Auch das Fließband war ein Produkt der Menschen und verkörperte menschliche Fähigkeiten. Und doch wurde durch das Fließband den Individuen, die an ihm gearbeitet haben, der Platz in der Produktion und die Tätigkeit ebenso angewiesen wie Art und Geschwindigkeit der Tätigkeit. Es hat sich jedoch das Verhältnis von Arbeit und Technik insgesamt in der Produktion verändert. Im Falle der am Fließband organisierten Produktion benutzt die Unternehmensführung unter anderem die Technik, um die Beschäftigten dem Zweck des Unternehmens entsprechend einzusetzen und ihr Verhältnis zueinander zu regeln. Denn die Kooperation der Individuen richtet sich beim Einsatz des Fließbandes nach der Maschinerie, als deren Anhängsel die einzelnen Beschäftigten erscheinen. Diese Funktion des Fließbandes hat sich als eine Bremse für die Steigerung der Gewinne erwiesen. Jetzt werden die Menschen in den Unternehmen nicht mehr vermittels Technik dem Unternehmenszweck untergeordnet oder – wie ich das mit Karl Marx und Friedrich Engels nennen möchte „subsumiert“. Im Gegenteil: Die unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten ordnen die Technik ihrer Kooperation unter. Sie entscheiden – wenn es gut läuft – gemeinsam, wie ein bestimmter Vorgang am besten technisch realisiert werden kann. Die Menschen sind nicht mehr durch die Technik dem Unternehmen, in dem sie arbeiten, „subsumiert“, sondern durch die Form ihrer Kooperation miteinander. Die Art, wie die Individuen in großen Unternehmen miteinander in der Arbeit kooperieren, das subsumiert sie unter den Zweck des Unternehmens. Es handelt sich um eine profitorientierte Kooperation. Die Beschäftigten müssen – um arbeiten zu können – ihre Arbeitskraft verkaufen an Menschen oder Gesellschaften von Menschen, die die Mittel besitzen, mit denen sie ihre Arbeitskraft verwirklichen können. Auf dem Arbeitsmarkt sind die Arbeiterinnen und Arbeiter nur als vereinzelte Individuen. Sie sind getrennt von den Mitteln der Produktion, aber auch von den anderen Produzentinnen und Produzenten, voneinander. Ihr Zusammenkommen und Zusammenwirken erscheint daher notwendig als eine Leistung des Käufers ihrer Arbeitkraft, der sie zusammenbringt, des kapitalistischen Unternehmens, obwohl es sich um das Tun der unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten selbst handelt. Die neue Form der Subsumtion der Beschäftigten unter den Unternehmenszweck, den Profit, ist die profitorientierte Kooperation der Beschäftigten untereinander.
– „subsumiert“. Im Gegenteil: Die unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten ordnen die Technik ihrer Kooperation unter. Sie entscheiden – wenn es gut läuft – gemeinsam, wie ein bestimmter Vorgang am besten technisch realisiert werden kann. Die Menschen sind nicht mehr durch die Technik dem Unternehmen, in dem sie arbeiten, „subsumiert“, sondern durch die Form ihrer Kooperation miteinander. Die Art, wie die Individuen in großen Unternehmen miteinander in der Arbeit kooperieren, das subsumiert sie unter den Zweck des Unternehmens. Es handelt sich um eine profitorientierte Kooperation. Die Beschäftigten müssen – um arbeiten zu können – ihre Arbeitskraft verkaufen an Menschen oder Gesellschaften von Menschen, die die Mittel besitzen, mit denen sie ihre Arbeitskraft verwirklichen können. Auf dem Arbeitsmarkt sind die Arbeiterinnen und Arbeiter nur als vereinzelte Individuen. Sie sind getrennt von den Mitteln der Produktion, aber auch von den anderen Produzentinnen und Produzenten, voneinander. Ihr Zusammenkommen und Zusammenwirken erscheint daher notwendig als eine Leistung des Käufers ihrer Arbeitkraft, der sie zusammenbringt, des kapitalistischen Unternehmens, obwohl es sich um das Tun der unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten selbst handelt.<ref> ebenda S. 67f </ref> Die neue Form der Subsumtion der Beschäftigten unter den Unternehmenszweck, den Profit, ist die profitorientierte Kooperation der Beschäftigten untereinander.
 
   
 
===6. Die neue Organisation der Arbeit===
 
===6. Die neue Organisation der Arbeit===

Version vom 28. November 2007, 11:35 Uhr

Albträume der Gegenwart als Wegweiser in die Zukunft

Stephan Siemens


Unter diesem Titel wird hier nach und nach die schriftliche Fassung eines Vortrag erscheinen, den Stephan Siemens bei der Tagung der ISG (Interdisziplinären Studiengesellschaft) zum Thema: "Vom Traum zum Albtraum" am 21 Oktober 2007 in Bad Pyrmont gehalten hat.



1. Fehlt uns die „Utopie“?

Wir leben in einer Zeit, in der uns die Utopien ausgegangen zu sein scheinen. „Utopie“ kann als die Vorstellung einer Lebensweise aufgefasst werden, die wörtlich genommen keinen Ort in dieser Welt hat. ("ou" heißt griechisch „nicht“, „topos“ heißt "Ort". Utopie heißt also wörtlich: "Kein Ort".) Gehe ich von der wörtlichen Bedeutung aus, so könnte ich mit demselben Recht sagen: Wir haben überhaupt nur Utopie! Denn unsere Lebensweise hat offenbar keinen Ort in dieser Welt, das heißt in der Natur. Wir brauchen – so könnte ich fortfahren – vielmehr eine Art „Topie“, die Vorstellung einer Lebensweise, die uns einen Ort in der Welt – und das heißt in der Natur – verschafft, so dass wir in der Natur als unserer Heimat leben können, aber auch leben wollen, also nicht eine ökologische Nische, sondern eine Heimat.

Wenn ich so spreche, dann betrachte ich die Utopie nicht als etwas Positives, Zukünftiges, sondern als etwas Gegenwärtiges, aber Bedrohliches. Dem Wunschtraum des freien Unternehmertums entspricht gesellschaftlich gesehen ein gesamtgesellschaftlicher Albtraum, der Albtraum der ökologischen Bedrohung. Dem Wunschtraum nach schier unermesslicher Steigerung des Profits entspricht individuell gesehen der Albtraum von Menschen, die in ihrer Arbeit permanent und dauerhaft überfordert sind, die unter „Burn out“ und schlimmeren Folgen von Überlastung leiden. So ergibt sich eine Art doppelter Albtraum, der dem Wunschtraum des freien Unternehmertums entspricht. Dieser doppelte Albtraum bestimmt in gewissem Maße unsere gegenwärtige Lebensweise und macht sie zu einer „negativen Utopie“, oder wie das bei manchen in der Literaturwissenschaft heißt, zu einer „Dystopie“.

2. Selbst gesetzte Zweck und von selbst eintretende Konsequenzen

Diese Albträume, die ökologische Krise und die Überforderung der arbeitenden Menschen, sind offenbar unbeabsichtigte Folgen dessen, was wir tun. Es sind Konsequenzen, die wir nicht wollen. Sie sind aber Resultate unseres Tuns, mit dem wir bestimmte Absichten verfolgen, die wir uns (in gewissem sehr beschränkten Sinne) selbst ausgesucht haben, und die wir zu erreichen pflegen. Unser Tun hat also Folgen, die wir wollen, und insofern sagen wir mit Recht, wir tun etwas „selbst“, und anderweitige Konsequenzen, die wir nicht wollen, und von denen wir sagen, dass sie „von selbst“ eintreten. Alles, was wir in der Natur tun, um unsere Zwecke zu erreichen, hat solche ungewollten natürlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Je größer das ist, was wir uns vornehmen, und je größer die Kräfte sind, mit denen wir es realisieren, desto größer sind auch die ungewollten, sich von selbst einstellenden Konsequenzen unseres Tuns. Aber es gibt noch eine zweite, qualitative Quelle der sich von selbst einstellenden Konsequenzen: Je mehr wir uns bloß darum kümmern, dass wir erreichen, was wir wollen, desto mehr übersehen wir, welche weiteren Folgen unser Tun hat. Je weniger wir darauf achten, was wir in Wirklichkeit insgesamt tun, um unsere Ziele zu erreichen, desto mehr wird sich die Wirklichkeit dessen, was wir insgesamt tun, als eine von selbst eintretende Konsequenz erweisen, desto größer sind die Effekte, die von selbst aus unserem Tun entstehen. Diese Effekte unseres eigenen Tuns stellen sich dann als die Folgen uns gegenüber äußerer – scheinbar bloß natürlicher – Mächte dar. Wir begegnen in der Gefährdung unserer Existenzgrundlage den scheinbar natürlichen, sich von selbst einstellenden Folgen unseres eigenen Tuns. Je besser wir das verstehen, was wir tun, desto geringer werden die Konsequenzen unseres Tuns, die sich in dem Sinne von selbst ergeben, dass wir sagen können, dass wir sie nicht wollten.


3. Die mögliche Verwandlung des „von selbst“ in „selbst“: Das Begreifen

Es ist in diesem Sinne von Bedeutung, dass wir begreifen, was wir tun. Denn das Begreifen dessen, was wir tun, zielt nicht nur auf die Realisierung einer gewünschten Absicht, sondern zugleich auf das Verständnis dessen, was dabei in Wirklichkeit geschieht. Wenn wir uns fragen, wie wir etwas erreichen, dann ist es allein wichtig, dass bei unserem Tun herauskommt, was wir wollen. Wir sprechen dann davon, dass es funktioniert hat. Um eventuelle ungewollte Konsequenzen unseres Tuns kümmern wir uns insofern nicht. Wir erfassen deshalb nur in einem begrenzten Sinne, was wir tun. Die Grenze ist die Absicht, die wir verfolgen. Was jenseits der Absicht durch unser Tun erreicht wird, erfassen wir nicht.

Wenn wir ohne diese Grenze begreifen wollen, was wir tun, fassen wir – nach unseren Möglichkeiten – unser Tun nach der Seite seiner tatsächlichen Wirkung auf. Wir sehen nach unseren Möglichkeiten die Wirkung unseres Tuns in seiner Gesamtheit, oder anders formuliert, wir fassen die menschliche Produktion als Naturkraft auf. Es zeigt sich uns dann die ökologische Krise als ein uns unbewusstes Produkt unseres eigenen Tuns, das uns eben dieser Unbewusstheit wegen als eine – feindliche – Naturkraft gegenübertritt. Beseitigen wir die Unbewusstheit unseres Handelns, dann beseitigen wir in der Tendenz auch diese Form der feindlichen Natur.

Anders formuliert: Wenn es uns gelingt, die Gegenwart in und aus ihren Albträumen zu begreifen, dann eröffnet sich womöglich darin eine „Topie“, ein Weg in eine menschliche Zukunft, in der es nicht nur eine Nische in der Natur für die Menschen gibt, sondern in der die Natur unsere Heimat ist. Allerdings: Begreifen müssen wir selbst, und begreifen müssen wir jeder und jede einzeln – wenn auch im dafür notwendigen Gespräch mit anderen. Das kann mir keiner abnehmen. Begreifen kann ich überdies nur mit Bewusstsein. Wir begreifen nicht „von selbst“, sondern wir wissen darum, dass wir etwas begreifen, wenn etwas begreifen. Das Begreifen als solches hat daher keine im obigen Sinne ungewollten Folgen. Das Begreifen ist also so etwas wie ein – in allen seinen Konsequenzen gewolltes – Tun der Menschen, das ich nur selbst machen kann, das ich bewusst machen muss und das ich – wenn auch notwendig im Zusammenhang mit anderen Menschen – individuell machen muss, wenn begriffen werden soll. Das Begreifen meines Tuns richtet sich daher gegen dessen mir unbewusste Folgen, gegen Prozesse, die sich infolge meines Wirkens von selbst abspielen. Es geht darauf, das „Sich von selbst Abspielen“ solcher Prozesse zu beseitigen, indem ich sie aus meinem eigenen Tun zu erfassen suche. Dabei werde ich mit der Zeit meine Wirkungen so zu modifizieren beginnen, dass sie mir als ein verantwortbares Resultat meines Tuns erscheinen können. Ich will also auf die Dauer nicht nur tun, was ich will, ich will auch wollen, was ich tue, im Rahmen meiner Möglichkeiten.

Ein möglicher Einwand gegen solche Überlegungen lautet: Das ist doch ein illusorischer Anspruch, dass wir begreifen sollen, was wir tun. Wir Menschen sind nicht so gemacht, dass wir dazu in der Lage wären. Die These, die ich vertreten will, ist genau das Gegenteil: Wir sind jetzt in einer Situation, in der wir Menschen dazu in die Lage versetzt werden, ob wir das wollen oder nicht. Um diese – zunächst befremdliche – These zu untermauern, will ich – nach einigen geschichtlichen Schlaglichtern – einen mir wesentlich erscheinenden Zug der Gegenwart beleuchten, die neue Form der Organisation der Arbeit.


4. Kurze geschichtliche Schlaglichter

Wenn wir die gegenwärtige Lage in ihrem Entstehen begreifen wollen, dann ergibt sich die Möglichkeit, in der Geschichte zu betrachten, wie diese jetzige Situation mit dem doppelten Albtraum entstanden ist. Am Ende der 60 Jahre des vergangenen Jahrhunderts fanden drei Ereignisse statt, die als eine Art Schlaglichter dienen können, um die Entstehung der Gegenwart zu beleuchten:

a. die Veränderungen in der Arbeit, die sich mit den Namen „Silicon 
   Valley“ und Bill Gates verbinden 
b. der Bericht des „Club of Rome“
c. die internationale Studentenbewegung von 1968.

Die Formen der Arbeitsorganisation begannen Ende der sechziger Jahre, sich zu verändern: Hierarchisch organisierte Unternehmen gerieten in die Defensive. „Selbstorganissierte“ Unternehmen kamen mehr und mehr in die Offensive. Damit wird sich dieser Artikel noch ausführlicher befassen.

Der „Club of Rome“ legte Ende der 60er Jahre einen Bericht darüber vor, dass die Ressourcen der Erde endlich sind. Er wies auf die Gefahr eines drohenden ökologischen Kollapses hin. Auch wenn in dieser Frage das eine oder andere geschehen ist: Die Gefahr besteht fort, und hat sich seither teils realisiert, teils vergrößert. Die Ressourcen werden unvermindert reduziert. Der Bericht des Club of Rome hat seiner Grundaussage nach nichts von seiner Aktualität verloren.

Die internationale Studentenbewegung von 1968 griff ein veraltetes Herrschaftssystem an, das auf Kontrolle und Beherrschung von außen beruht. Solche Herrschafts- und Kontrollsysteme sind seither nicht nur in westlichen Gesellschaften in der Krise. Der untergegangene „real existierende Sozialismus“ hatte auf einer solchen äußerlichen Kontrolle und Herrschaft beruht.

Die genannten Ereignisse können als Keimformen der gegenwärtigen Entwicklung verstanden werden. In den letzten 40 Jahren hat sich ein neuer Typ der Produktion herausgebildet. Er beruht auf einem neuen Schritt in der Entwicklung der Produktivkraft der Menschen. Die Fähigkeiten und die Kräfte, mit denen wir die Produktion organisieren, haben sich grundlegend gewandelt. So betrachtet hat sich auch gewandelt, was wir tun und wie wir es tun. Diese neue Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit wirft neue Probleme auf, bei denen die äußerliche Kontrolle versagt.

5. Die Erscheinungsweise des Neuen in der Arbeitsorganisation

Von diesen Veränderungen, die die allgemeine Lebensweise der Menschheit ebenso betrifft, wie die Arbeitssituation vieler Menschen, möchte ich mich in der Darstellung den Veränderungen in der Arbeitssituation zuwenden, weil ich

1. glaube, dass sie da am einfachsten zu erfassen ist, 
2. annehme, dass dort die Veränderungen eintreten werden, die uns
   einen Ort in der Natur sichern können,
3. glaube, dass unser bewusstes Eingreifen in die Art, wie wir 
   leben, von der wirklichen Auseinandersetzung mit der Natur, also 
   von den arbeitenden Menschen ausgehen muss.  

Eine Erscheinungsweise der eben behaupteten Entwicklung der Produktivkraft liegt in dem Inhalt der Arbeit selbst. Die Arbeit vieler „Arbeitnehmerinnen“ und „Arbeitnehmer“ ist derart kompliziert geworden, dass es nicht mehr möglich ist, diesen Menschen Anweisungen zu geben, was sie zu tun haben. Denn das Verständnis der Arbeitsvorgänge ist so schwierig, dass ein Vorgesetzter oder eine Vorgesetzte sie nur selten besser versteht als die Beschäftigten, die diese Arbeit ausführen müssen. Im Gegenteil: Oft ist das nicht der Fall. Vorgesetzte sind beim Verständnis der Arbeit auf Erläuterungen ihrer Beschäftigten angewiesen. Daraus – so scheint es - ergibt sich ein Problem für die Organisation der Tätigkeiten in großen Unternehmen. Aber es hat sich gezeigt, dass dieses Problem lösbar ist. Es ist nicht nur lösbar, sondern wenn es gelöst wird, dann steigert das überdies auch den Gewinn großer Unternehmen beträchtlich – so beträchtlich, dass die neuen Formen auch überschwappen in andere Bereiche der Produktion. Auch Unternehmen, deren Beschäftigte keineswegs so komplizierte Arbeiten zu leisten haben, behandeln ihre Beschäftigten entsprechend anders um des so zu steigernden Profites willen. Es entsteht deswegen eine neue Unternehmenskultur, die als Übergang vom abhängig Beschäftigten zum selbständigen Mitarbeiter erscheint. Auch wenn also die Veränderungen in der Produktion sich in ihrer Entstehung sehr komplexen und hoch spezialisierten Arbeitszusammenhängen verdanken, so ist nicht dies die Ursache für die Allgemeinheit des Wandels der Unternehmenskulturen. Die Steigerung der Gewinne der Unternehmen, die so organisiert sind, sorgt dafür, dass die neue Selbständigkeit der abhängig Beschäftigten mehr und mehr in allen Bereichen der Produktion und in fast allen Unternehmen, Platz greift. (Dabei unterschätze ich nicht, dass eine solch grundlegende Veränderung nur nach und nach und mit vielem Hin und Her eingeführt wird. Ich behaupte jedoch, dass an der Richtung der Entwicklung letztlich nicht gezweifelt werden kann.)

Diese neue Selbständigkeit der Beschäftigten hat ihre Ursache nicht in erster Linie in der veränderten Technik. Es wird mitunter gesagt, dass „der Computer“ und „die Digitalisierung“ dafür verantwortlich zu machen seien. Zum einen könnte ich fragen: Und worin hat der Computer seine Ursache? Ich würde dann wieder auf die Fähigkeiten der produzierenden Menschen selbst zurückgeführt, die Computer produzieren. Aber dieses Argument ist unzureichend. Denn das trifft auch beim Fließband zu. Auch das Fließband war ein Produkt der Menschen und verkörperte menschliche Fähigkeiten. Und doch wurde durch das Fließband den Individuen, die an ihm gearbeitet haben, der Platz in der Produktion und die Tätigkeit ebenso angewiesen wie Art und Geschwindigkeit der Tätigkeit. Es hat sich jedoch das Verhältnis von Arbeit und Technik insgesamt in der Produktion verändert. Im Falle der am Fließband organisierten Produktion benutzt die Unternehmensführung unter anderem die Technik, um die Beschäftigten dem Zweck des Unternehmens entsprechend einzusetzen und ihr Verhältnis zueinander zu regeln. Denn die Kooperation der Individuen richtet sich beim Einsatz des Fließbandes nach der Maschinerie, als deren Anhängsel die einzelnen Beschäftigten erscheinen. Diese Funktion des Fließbandes hat sich als eine Bremse für die Steigerung der Gewinne erwiesen. Jetzt werden die Menschen in den Unternehmen nicht mehr vermittels Technik dem Unternehmenszweck untergeordnet oder – wie ich das mit Karl Marx und Friedrich Engels nennen möchte – „subsumiert“. Im Gegenteil: Die unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten ordnen die Technik ihrer Kooperation unter. Sie entscheiden – wenn es gut läuft – gemeinsam, wie ein bestimmter Vorgang am besten technisch realisiert werden kann. Die Menschen sind nicht mehr durch die Technik dem Unternehmen, in dem sie arbeiten, „subsumiert“, sondern durch die Form ihrer Kooperation miteinander. Die Art, wie die Individuen in großen Unternehmen miteinander in der Arbeit kooperieren, das subsumiert sie unter den Zweck des Unternehmens. Es handelt sich um eine profitorientierte Kooperation. Die Beschäftigten müssen – um arbeiten zu können – ihre Arbeitskraft verkaufen an Menschen oder Gesellschaften von Menschen, die die Mittel besitzen, mit denen sie ihre Arbeitskraft verwirklichen können. Auf dem Arbeitsmarkt sind die Arbeiterinnen und Arbeiter nur als vereinzelte Individuen. Sie sind getrennt von den Mitteln der Produktion, aber auch von den anderen Produzentinnen und Produzenten, voneinander. Ihr Zusammenkommen und Zusammenwirken erscheint daher notwendig als eine Leistung des Käufers ihrer Arbeitkraft, der sie zusammenbringt, des kapitalistischen Unternehmens, obwohl es sich um das Tun der unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten selbst handelt. Die neue Form der Subsumtion der Beschäftigten unter den Unternehmenszweck, den Profit, ist die profitorientierte Kooperation der Beschäftigten untereinander.

6. Die neue Organisation der Arbeit

Dieser Schritt der Entwicklung der Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit ist grundlegend auch für den Wandel der Arbeitsorganisation in großen Unternehmen. Ich stelle daher die Veränderung der Form der Organisation der großen Unternehmen kurz und holzschnittartig dar. Dabei gehe ich der Einfachheit halber von einer idealtypischen alten zu einer ebenso idealtypischen neuen Form der Organisation der Arbeit in großen Unternehmen über.


6. a. Die alte Organisation der Arbeit

Die Menschen arbeiten in Unternehmen, die sich auf dem Markt behaupten müssen. Der Markt stellt die Gesamtheit der sich von selbst gliedernden - formell in privater Form organisierten - Arbeitstätigkeiten der Menschen in Bezug auf die Natur insgesamt dar. Diese Arbeitstätigkeiten gliedern sich in Branchen und Unternehmen. Für die hier behandelte Organisation der Arbeit im Speziellen sind die Unternehmen entscheidend. Unternehmen der alten Form haben an der Spitze einen „Arbeitgeber“, der den als Zufälligkeit erscheinenden Notwendigkeiten des Marktes gehorchen muss. Ihm sagt niemand, was er zu tun hat. Er muss es selbst wissen. Der „Arbeitgeber“ übersetzt die Notwendigkeiten des Marktes in Anweisungen, die vom Unternehmen auszuführen sind. Er verschafft sich auf dem Arbeitsmarkt Arbeiterinnen und Arbeiter auf Zeit, die seine Anweisungen auszuführen haben. Da er nicht persönlich allen Beschäftigten ihre Anweisungen geben kann, und da die Anweisungen in größeren Unternehmen der Spezifikation bedürfen, schiebt der „Arbeitgeber“ Vorgesetzte zwischen sich und die Beschäftigten ein, die die Anweisungen konkretisieren und weiter geben. Die Beschäftigten erhalten also die auf sie spezifizierten Anweisungen von ihren Vorgesetzten und setzen sie in Arbeitstätigkeiten um. Diese Arbeitstätigkeit wirkt im Einzelnen auf Gegenstände der Natur oder auf industrielle Halbfertigprodukte, die aber zuletzt auf die Natur verweisen. Die Gesamtheit der Tätigkeiten der einzelnen Beschäftigten in den verschiedenen Unternehmen ergibt zugleich die Gesamtheit der Tätigkeiten der Menschheit insgesamt in Bezug auf die Natur. Beide sind nur der Vorstellung nach unterschieden, der Sache nach aber dasselbe. Die Vermittlung zwischen der Gesamtheit des Tuns der Menschheit in Bezug auf die Natur insgesamt und des Tuns des einzelnen Beschäftigten oder der einzelnen Beschäftigten auf die Natur im Einzelnen ist das kapitalistische Unternehmen.


Hier folgt eine Graphik, die in Kürze eingesetzt wird.


So ergibt sich folgende Darstellung: Oben steht die Natur insgesamt, der die Menschen in der Produktion ihre Lebensmittel entreißen müssen. Die Menschheit stellt sich der Natur insgesamt als von selbst oder marktförmig organisiert gegenüber. (Der Markt ist eine Form, in der die Notwendigkeiten der Produktion als Zufälligkeiten erscheinen. Oder umgekehrt: Die Zufälligkeiten des Marktes sind nur Ausdruck der unerkannten Notwendigkeiten, die sich aus der Naturaneignung insgesamt für die menschliche Produktionstätigkeiten – eine bestimmte Produktivkraft der Menschen vorausgesetzt – ergeben.) Der Markt gliedert sich in Branchen und in Unternehmen. An der Spitze stehen Unternehmer oder seltener Unternehmerinnen, die die Anforderungen des Marktes in ihren Willen umsetzen. Dieser Wille macht aus dem bloßen Haufen der im Unternehmen arbeitenden Menschen eine Organisation, ein kapitalistisches Unternehmen. Die Unternehmer oder Unternehmerinnen geben Anweisungen an eine Hierarchie der Vorgesetzten, die die Anweisungen nach unten spezifizieren und weitergeben, bis sie schließlich die unmittelbaren Produzenten selbst erreichen. Diese Menschen setzen sich mit der Natur im Einzelnen auseinander, d.h. sie erreichen im weitesten Sinne Formveränderungen an einem vorausgesetzten Material. Hier trifft der Wille wieder auf die Natur, diesmal auf die Natur im Einzelnen, oder anders formuliert, auf sie als die Natur einzelner Gegenstände. Während die Vorgesetzten – die selbst keine Anweisungen erhalten, sondern den von ihnen erkannten Notwendigkeiten gehorchen – den Beschäftigten Anweisungen zu geben in der Lage sind, können die Menschen, die unmittelbar arbeiten, den Gegenständen keine Anweisungen geben. Sie müssen sich vielmehr nach den Eigenheiten der von ihnen zu bearbeitenden Gegenstände richten. Die Beschäftigten können sich daher zum Beispiel auf die Unmöglichkeit der Ausführung einer Anweisung berufen, wenn der Vorgesetzte oder die Vorgesetzte nicht definitiv weiß, dass der Inhalt der Anweisung ausführbar ist. Je komplizierter und unüberschaubarer die Arbeit ist, desto schwieriger wird es für die Vorgesetzten, zu erfassen, ob ihrer Anweisung Hindernisse entgegenstehen oder nicht und wie groß diese Hindernisse sind. (Das gilt vor allem für Zeitvorgaben.)

Dieses System der Organisation hat den Vorteil, dass es überhaupt eine Organisation zu bilden erlaubt. Es ermöglicht gesellschaftliche Produktion. Denn jede und jeder Beschäftigte muss für die Zeit der Arbeitstätigkeit ihren oder seinen Willen aufgeben, und stattdessen den Willen der Unternehmerin oder des Unternehmers realisieren. Die Beschäftigten müssen tun, was ihnen gesagt wird. So wird auch ihr Zusammenwirken möglich. Die Fähigkeit der Menschen, zu produzieren, die gesellschaftliche Produktivkraft ihrer Arbeit wird auf diese Weise sehr erhöht. (Soweit gilt das auch für die Manufaktur.) Die Unterordnung der Menschen unter den Unternehmenszweck geschieht durch die Maschinerie und erscheint insoweit als eine sachlich gebotene und also rationale Angelegenheit, über die durch gesellschaftliche Auseinandersetzungen Konsenses erzielt werden kann. Im einzelnen Unternehmen geschieht sie auf der Grundlage von Befehl und Gehorsam. Im Übrigen ergibt sich im Prinzip eine Gleichbehandlung der Beschäftigten im Unternehmen, die die Konflikte reduziert und die Kohärenz des Unternehmens sichert. Aber das System hat auch empfindliche Mängel:

1. Es werden nur Detailfunktionen der beschäftigten Menschen  
   genutzt. Die meisten Fähigkeiten der Menschen bleiben
   ungenutzt. In den neuen Formen der Arbeitsorganisation geht es 
   darum, den ganzen Menschen, die gesamte Individualität in den 
   Dienst der kapitalistischen Produktion zu stellen. 
2. Die Menschen arbeiten unter diesen Bedingungen in der Regel 
   nicht freiwillig. Denn Arbeiten bedeutet hier: „den eigenen 
   Willen aufgeben“. Das aber kann ich nicht freiwillig tun. Das 
   widerspricht sich selbst. (Ich kann den Zwang „internalisieren“. 
   Aber es bleibt bei den meisten Menschen eine Reserve gegenüber 
   einer geforderten  „Aufopferung“ für das Unternehmen.)
3. Die Vorschriften und Anweisungen sind immer ein mangelhaftes und 
   ergänzungsbedürftiges Abbild der Wirklichkeit in der Produktion. 
   Als solche funktionieren sie nicht. Das wurde auch durch die 
   Gewerkschaften in den siebziger Jahren genutzt, als sie 
   den „Dienst nach Vorschrift“ ausriefen, was praktisch einem 
   Streik gleichkam.  
4. Den einzelnen Beschäftigten ist es – der Struktur nach – 
   gleichgültig, ob das Unternehmen Gewinn macht oder nicht. Ist 
   das Unternehmen nicht „erfolgreich“, so sind den Beschäftigten 
   die Hände gebunden. Sie tragen keine Verantwortung für die 
   Steigerung des Profits, wie überhaupt für die Veräußerlichkeit 
   des Produkts. Diese Verantwortung trägt der Unternehmer oder die 
   Unternehmerin. (Theoretisch! Denn praktisch hat der Unternehmer 
   oder die Unternehmerin meist seine oder ihre Schäfchen ins 
   Trockene gebracht, während die Beschäftigten ihrer 
   Privatinitiative auf dem Arbeitsmarkt überlassen bleiben.)  

Diese Mängel sind Hindernisse in der Form der Organisation der Arbeit, die sich bei der Steigerung des Profites der kapitalistischen Unternehmen auswirken. Als dies aufgedeckt und sichtbar wurde, entstand ein Druck zu neuen Formen der Unternehmensorganisation überzugehen. Überdies wurde in der öffentlichen Diskussion die Frage nach der Menschlichkeit einer solchen Arbeitstätigkeit aufgeworfen, worin die Menschen auf einzelne Funktionen reduziert und zu Anhängseln der Maschinerie wurden. Es wurde nach politischen Formen der Bereicherung des Arbeitslebens gerufen. Diese Bereicherung findet zwar statt. Sie sieht aber anders aus als erwartet. Die Vorstellungen, dass Arbeit zu einem Spiel werde, dass Arbeit human werde, oder dergleichen Theorien erwiesen sich als die Begleitmusik eines Übergangs zu einer neuen Form der Subsumtion der Individuen unter den Unternehmenszwecks, der profitorientierten Kooperation.

6. b. Die neuen Form der Unternehmensorganisation

Die neuen Formen der Organisation der Arbeit beschränken sich nicht auf die Nutzung Detailfunktionen der Beschäftigten, die in der Arbeit dem kapitalistischen Unternehmen dienen sollen. Sie zielen darauf ab, das ganze Individuum in den Dienst der kapitalistischen Produktion zu stellen. Dies ist nur zu erreichen, wenn die unmittelbar arbeitenden Beschäftigten zugleich mit den Problemen konfrontiert wurden, denen sich bisher der Unternehmer oder die Unternehmerin zu stellen hatten. Denn die Unternehmerin und der Unternehmer tun – zumindest in ihrer Vorstellung – alles, um ihre wirtschaftliche „Existenz“ zu erhalten. Auch wenn der Unternehmer und die Unternehmerin selbst entscheiden, was sie tun, so können sie doch nicht tun, was sie wollen. Im Gegenteil: Handeln sie wiederholt falsch, d. h. am Markt vorbei, so droht der Untergang ihres Unternehmens. Sie sind also einem Druck nicht durch Anweisungen oder durch Vorgesetzte, sondern von den so genannten „Realitäten“ des Marktes ausgesetzt. Auf diesen Druck reagieren sie mit der Mobilisierung aller Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen.

Eine solche Reaktion mit allen Ressourcen soll nun auch bei abhängig Beschäftigten im Unternehmen erreicht werden. Das kann nur geschehen, indem die Beschäftigten sich selbst mit dem Markt auseinandersetzen müssen. Dies können sie aber nur, wenn der „Arbeitgeber“ ihnen das nicht mehr abnimmt. In Zukunft ist es nicht mehr die Aufgabe des „Arbeitgebers“, die Anforderungen des Marktes in auszuführende Anweisungen zu übersetzen. Im Gegenteil: Die Aufgabe des „Arbeitgebers“ wird es mehr und mehr, das zu unterlassen, damit die Beschäftigten sich selbst damit beschäftigen, was zu tun ist. Denn ihre Aufgabe als Beschäftigte in einem kapitalistischen Unternehmen ist es, steigende Profite zu erzeugen. Gelingt ihnen das nicht, so droht nicht die Entlassung, sondern das Desinvestment. Die „Arbeitgeber“ ziehen ihre Mittel, die sie in die Arbeitsmöglichkeiten der Beschäftigten gesteckt haben, wieder zurück. Damit sind die Beschäftigten nicht mehr in der Lage, ihrer Arbeit nachzugehen.

Die „Arbeitgeber“ ziehen sich also mehr und mehr auf die Rolle des Investors zurück. Die unternehmerischen Funktionen überlassen sie den Beschäftigten selbst. Daher wachsen den unmittelbaren Produzentinnen und Produzenten mehr und mehr Unternehmerfunktionen zu. Worin aber bestehen diese Funktionen? Es gilt, dafür zu sorgen, dass die Arbeitkraft der Produzentinnen und Produzenten gesellschaftlich sinnvoll im Sinne des Kapitals eingesetzt wird, und das heißt letztlich so, dass sie – möglichst wachsende – Profite bringt. Diese Funktion wächst den Beschäftigten zu. Sie müssen sich vor ihren „Arbeitgebern“ dafür verantworten, dass ihre Arbeit profitabel ist. Anderenfalls droht das Desinvestment. Die „Arbeitgeber“ geben also die Unternehmerfunktion an die Beschäftigten preis, um höhere Profite zu erzielen. Zugleich konfrontieren sie die Beschäftigten selbst mit den als Zufälligkeiten des Markts erscheinenden Notwendigkeiten der kapitalistischen Produktion. Die Beschäftigten reagieren oft zunächst genauso, wie die Unternehmerinnen und Unternehmer früher: Viele setzen alle ihre Mittel ein, um sich auf dem Markt zu behaupten. Diese Mittel aber sind ihre Arbeitskraft, ihre individuellen Fähigkeiten im umfassenden Sinne, ihre Zeit und Energie. Viele betrachten das „Bestehen Können“ auf dem Markt als eine unmittelbare Form der Selbstverwirklichung. Sie sind stolz, dass sie so und so viel Profit erwirtschaften. Aber das gilt keineswegs für alle Beschäftigten. Es gibt auch Menschen, die ihre Lebensziele in anderen Feldern verwirklichen wollen, oder einfach nur – eine aus den alten Organisationsformen der kapitalistischen Produktion mitgeschleppte Betrachtungsweise – „faul“ sind. Deswegen kann sich der „Arbeitgeber“ keineswegs darauf verlassen, dass diese Reaktion von selbst eintritt. Er bildet daher beispielsweise Teams, teilautonome Einheiten, Profitcenters etc. in denen die Beschäftigten teilweise für ihre eigene Arbeit, teilweise aber auch für die Arbeitsleistung ihres Teams und ihrer Unternehmenseinheit bezahlt werden. Jede Beschäftigte und jeder Beschäftigte wird so automatisch ein Interesse am „Funktionieren“ aller anderen haben, und entsprechend handeln. Denn in seine oder ihre Entlohnung geht als Maßstab nicht nur die eigene unmittelbare Arbeitsleistung ein, sondern auch die seiner Kolleginnen und Kollegen. Es entsteht so ein Druck, dem sich die Anderen in der Regel beugen werden. Geschieht das nicht, so entsteht eine Tendenz, entsprechende Kolleginnen und Kollegen „loswerden“ zu wollen. (In der entsprechenden Literatur ist von „Viren“ die Rede, die den produktiven Organismus schwächen.) So wird auch das Entlassen und Einstellen zum Beispiel mehr und mehr eine Funktion, der die Beschäftigten im Team nachgehen werden. Eine Unternehmensfunktion nach der anderen wird so nach und nach - wie in den Beispielen angedeutet - in die Hände der Beschäftigten selbst übergehen.

Die „Arbeitgeber“ selbst werden sich für das „Zur Verfügung Stellen“ der Produktionsmittel bezahlen lassen. Diese Mittel sind nicht unerheblich. Denn die Produzentinnen und Produzenten arbeiten im Wesentlichen auf Weltmarktniveau. Sie stehen in unmittelbarer Konkurrenz zu anderen Beschäftigten desselben Unternehmens in anderen Ländern oder zu den Beschäftigten anderer Unternehmen, die irgendwo auf der Welt ein gleiches oder ähnliches Produkt herstellen. Auf Weltmarktniveau zu produzieren aber erfordert Mittel. Diese Mittel sind in der Hand der „Arbeitgeber“. Diese Mittel werden investiert, oder sie werden abgezogen. Das entscheidet letztlich über die Frage, ob es den Beschäftigten gelingt, sich zu behaupten. Große Konzerne schreiben zum Beispiel Aufträge aus und holen im Unternehmen, teilweise auch auf dem Markt außerhalb des Unternehmens, Angebote ein. Das beste oder vorteilhafteste Angebot wird angenommen. Es entsteht so ein „Markt“ im Unternehmen, der den Markt überhaupt abbildet. Dabei wird als Bedingung für den Auftrag eine bestimmte Gewinnmarge für die „Arbeitgeber“ vorausgesetzt oder eingerechnet. Dadurch tritt der Profit als eine selbstverständlich zu bedienende Größe auf, als ein notwendiges Element der sogenannten „Marktwirtschaft“. Es gehört gewissermaßen zum Arbeiten dazu, dass die Beschäftigten möglichst viel Gewinn, zumindest aber ein Gewinnwachstum realisieren. Die „Arbeitgeber“ erzielen auf diesem Wege mehr Gewinn, mehr Profit, und deswegen setzt sich dieser Weg der Unternehmensorganisation mehr und mehr durch.

Die Beschäftigten müssen sich mit den Marktbedingungen ihrer eigenen Arbeit selbst auseinanderzusetzen lernen. Der Begriff „Markt“ bezeichnet die Gesamtheit der Bedingungen eines Unternehmens in der gesellschaftlichen Produktion. Diese Bedingungen ändern sich ständig. Diese Veränderungen müssen vom Unternehmen produktiv beantwortet werden. Das gehört nunmehr zur Arbeit der Beschäftigten selbst. Sie bekommen diesen Aspekt ihrer Arbeitstätigkeit nicht mehr, wie in der alten Form der Arbeitsorganisation, abgenommen. Die Beschäftigten müssen lernen, sich mit den Bedingungen ihrer Arbeitstätigkeit selbst auseinanderzusetzen. Allerdings werden diese Bedingungen durch die „Arbeitgeber“ so modifiziert, dass die Profite für sie am besten gesichert scheinen. Die Unternehmenseinheiten, die Teams etc. werden – wie das aus der Biotechnologie bekannt ist -„indirekt gesteuert“. Die Bedingungen werden mit anderen Worten so modifiziert, dass die Beschäftigten möglichst produktiv darauf reagieren. Ein relativ bekannt gewordenes Mittel der „indirekten Steuerung“ ist die permanente „Umstrukturierung“, die einerseits die Lohnkosten drücken soll, andererseits aber z. B. die produktive Leistung der Beschäftigten durch Reduktion der Routine erhöhen soll. Durch solche Maßnahmen der „indirekten Steuerung“ werden die Bedingungen der Arbeit modifiziert und dadurch Prozesse in Gang gesetzt, die erhöhte Produktivität zum Resultat haben.

Solchen Versuchen der „indirekten Steuerung“ liegen bestimmte Überlegungen zugrunde. Die Bedingungen entscheiden darüber, welches Verhalten als das richtige erscheint. Durch die Modifikation der Bedingungen kann ich mittelbar bestimmen, wie die Menschen selbst handeln. Ich kann auf diese Weise eine Situation schaffen, in der die Beschäftigten reagieren, indem sie von selbst produktiver arbeiten. Für sie ist aber, was sie aus meiner Sicht von selbst tun, als etwas, das sie selbst tun. Denn sie selbst reagieren durch ihr Tun zunächst auf veränderte Rahmenbedingungen. Durch die Steuerung der Rahmenbedingungen kann ich also versuchen, mittelbar zu bestimmen, was die Beschäftigten tun. Genau das versuchen die „Arbeitgeber“: Sie wollen – dadurch dass die Beschäftigten selbst agieren – das ganze Individuum mit allen seinen Fähigkeiten und Leistungsmöglichkeiten in die kapitalistische Produktion hineinziehen; und das gelingt. Die „Arbeitgeber“ steigern damit ganz erheblich die Gewinne der Unternehmen.


6. c. „Selbst“ und „von selbst“ bei der indirekten Steuerung

Der Text wird in Kürze fortgesetzt.

Fußnoten