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(Albträume der Gegenwart als Wegweiser in die Zukunft)
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===2. Selbst gesetzte Zweck und von selbst eintretende Konsequenzen===
 
===2. Selbst gesetzte Zweck und von selbst eintretende Konsequenzen===
   
Diese Albträume, die ökologische Krise und die Überforderung der arbeitenden Menschen, sind offenbar unbeabsichtigte Folgen dessen, was wir tun. Es sind Konsequenzen, die wir nicht wollen. Sie sind aber Resultate unseres Tuns, mit dem wir bestimmte Absichten verfolgen, die wir uns (in gewissem sehr beschränkten Sinne) selbst ausgesucht haben, und die wir zu erreichen pflegen. Unser Tun hat also Folgen, die wir wollen, und insofern sagen wir mit Recht, wir tun etwas „selbst“, und anderweitige Konsequenzen, die wir nicht wollen, und von denen wir sagen, dass sie „von selbst“ eintreten.<ref>
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Diese Albträume, die ökologische Krise und die Überforderung der arbeitenden Menschen, sind offenbar unbeabsichtigte Folgen dessen, was wir tun. Es sind Konsequenzen, die wir nicht wollen. Sie sind aber Resultate unseres Tuns, mit dem wir bestimmte Absichten verfolgen, die wir uns (in gewissem sehr beschränkten Sinne) selbst ausgesucht haben, und die wir zu erreichen pflegen. Unser Tun hat also Folgen, die wir wollen, und insofern sagen wir mit Recht, wir tun etwas „selbst“, und anderweitige Konsequenzen, die wir nicht wollen, und von denen wir sagen, dass sie „von selbst“ eintreten. Alles, was wir in der Natur tun, um unsere Zwecke zu erreichen, hat solche ungewollten natürlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Je größer das ist, was wir uns vornehmen, und je größer die Kräfte sind, mit denen wir es realisieren, desto größer sind auch die ungewollten, sich von selbst einstellenden Konsequenzen unseres Tuns. Aber es gibt noch eine zweite, qualitative Quelle der sich von selbst einstellenden Konsequenzen: Je mehr wir uns bloß darum kümmern, dass wir erreichen, was wir wollen, desto mehr übersehen wir, welche weiteren Folgen unser Tun hat. Je weniger wir darauf achten, was wir in Wirklichkeit insgesamt tun, um unsere Ziele zu erreichen, desto mehr wird sich die Wirklichkeit dessen, was wir insgesamt tun, als eine von selbst eintretende Konsequenz erweisen, desto größer sind die Effekte, die von selbst aus unserem Tun entstehen. Diese Effekte unseres eigenen Tuns stellen sich dann als die Folgen uns gegenüber äußerer – scheinbar bloß natürlicher – Mächte dar. Wir begegnen in der Gefährdung unserer Existenzgrundlage den scheinbar natürlichen, sich von selbst einstellenden Folgen unseres eigenen Tuns. Je besser wir das verstehen, was wir tun, desto geringer werden die Konsequenzen unseres Tuns, die sich in dem Sinne von selbst ergeben, dass wir sagen können, dass wir sie nicht wollten.
Der Unterschied zwischen etwas, was „von selbst“ geschieht, und dessen, was ich „selbst“ tue, wird von Klaus Peters als zentral für die Betrachtung der neuen Formen der Arbeitsorganisation herausgearbeitet. In dem, was von selbst geschieht, erscheinen die Notwendigkeiten der Auseinandersetzung mit der Natur unter einer zufälligen Form, der des Marktes.</ref> Alles, was wir in der Natur tun, um unsere Zwecke zu erreichen, hat solche ungewollten natürlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Je größer das ist, was wir uns vornehmen, und je größer die Kräfte sind, mit denen wir es realisieren, desto größer sind auch die ungewollten, sich von selbst einstellenden Konsequenzen unseres Tuns. Aber es gibt noch eine zweite, qualitative Quelle der sich von selbst einstellenden Konsequenzen: Je mehr wir uns bloß darum kümmern, dass wir erreichen, was wir wollen, desto mehr übersehen wir, welche weiteren Folgen unser Tun hat. Je weniger wir darauf achten, was wir in Wirklichkeit insgesamt tun, um unsere Ziele zu erreichen, desto mehr wird sich die Wirklichkeit dessen, was wir insgesamt tun, als eine von selbst eintretende Konsequenz erweisen, desto größer sind die Effekte, die von selbst aus unserem Tun entstehen. Diese Effekte unseres eigenen Tuns stellen sich dann als die Folgen uns gegenüber äußerer – scheinbar bloß natürlicher – Mächte dar. Wir begegnen in der Gefährdung unserer Existenzgrundlage den scheinbar natürlichen, sich von selbst einstellenden Folgen unseres eigenen Tuns. Je besser wir das verstehen, was wir tun, desto geringer werden die Konsequenzen unseres Tuns, die sich in dem Sinne von selbst ergeben, dass wir sagen können, dass wir sie nicht wollten.
 
   
   

Version vom 12. November 2007, 23:44 Uhr

Albträume der Gegenwart als Wegweiser in die Zukunft

Stephan Siemens


Unter diesem Titel wird hier nach und nach die schriftliche Fassung eines Vortrag erscheinen, den Stephan Siemens bei der Tagung der ISG (Interdisziplinären Studiengesellschaft) zum Thema: "Vom Traum zum Albtraum" am 21 Oktober 2007 in Bad Pyrmont gehalten hat.

1. Fehlt uns die „Utopie“?

Wir leben in einer Zeit, in der uns die Utopien ausgegangen zu sein scheinen. „Utopie“ kann als die Vorstellung einer Lebensweise aufgefasst werden, die wörtlich genommen keinen Ort in dieser Welt hat. ("ou" heißt griechisch „nicht“, „topos“ heißt "Ort". Utopie heißt also wörtlich: "Kein Ort".) Gehe ich von der wörtlichen Bedeutung aus, so könnte ich mit demselben Recht sagen: Wir haben überhaupt nur Utopie! Denn unsere Lebensweise hat offenbar keinen Ort in dieser Welt, das heißt in der Natur. Wir brauchen – so könnte ich fortfahren – vielmehr eine Art „Topie“, die Vorstellung einer Lebensweise, die uns einen Ort in der Welt – und das heißt in der Natur – verschafft, so dass wir in der Natur als unserer Heimat leben können, aber auch leben wollen, also nicht eine ökologische Nische, sondern eine Heimat.

Wenn ich so spreche, dann betrachte ich die Utopie nicht als etwas Positives, Zukünftiges, sondern als etwas Gegenwärtiges, aber Bedrohliches. Dem Wunschtraum des freien Unternehmertums entspricht gesellschaftlich gesehen ein gesamtgesellschaftlicher Albtraum, der Albtraum der ökologischen Bedrohung. Dem Wunschtraum nach schier unermesslicher Steigerung des Profits entspricht individuell gesehen der Albtraum von Menschen, die in ihrer Arbeit permanent und dauerhaft überfordert sind, die unter „Burn out“ und schlimmeren Folgen von Überlastung leiden. So ergibt sich eine Art doppelter Albtraum, der dem Wunschtraum des freien Unternehmertums entspricht. Dieser doppelte Albtraum bestimmt in gewissem Maße unsere gegenwärtige Lebensweise und macht sie zu einer „negativen Utopie“, oder wie das bei manchen in der Literaturwissenschaft heißt, zu einer „Dystopie“.

2. Selbst gesetzte Zweck und von selbst eintretende Konsequenzen

Diese Albträume, die ökologische Krise und die Überforderung der arbeitenden Menschen, sind offenbar unbeabsichtigte Folgen dessen, was wir tun. Es sind Konsequenzen, die wir nicht wollen. Sie sind aber Resultate unseres Tuns, mit dem wir bestimmte Absichten verfolgen, die wir uns (in gewissem sehr beschränkten Sinne) selbst ausgesucht haben, und die wir zu erreichen pflegen. Unser Tun hat also Folgen, die wir wollen, und insofern sagen wir mit Recht, wir tun etwas „selbst“, und anderweitige Konsequenzen, die wir nicht wollen, und von denen wir sagen, dass sie „von selbst“ eintreten. Alles, was wir in der Natur tun, um unsere Zwecke zu erreichen, hat solche ungewollten natürlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen. Je größer das ist, was wir uns vornehmen, und je größer die Kräfte sind, mit denen wir es realisieren, desto größer sind auch die ungewollten, sich von selbst einstellenden Konsequenzen unseres Tuns. Aber es gibt noch eine zweite, qualitative Quelle der sich von selbst einstellenden Konsequenzen: Je mehr wir uns bloß darum kümmern, dass wir erreichen, was wir wollen, desto mehr übersehen wir, welche weiteren Folgen unser Tun hat. Je weniger wir darauf achten, was wir in Wirklichkeit insgesamt tun, um unsere Ziele zu erreichen, desto mehr wird sich die Wirklichkeit dessen, was wir insgesamt tun, als eine von selbst eintretende Konsequenz erweisen, desto größer sind die Effekte, die von selbst aus unserem Tun entstehen. Diese Effekte unseres eigenen Tuns stellen sich dann als die Folgen uns gegenüber äußerer – scheinbar bloß natürlicher – Mächte dar. Wir begegnen in der Gefährdung unserer Existenzgrundlage den scheinbar natürlichen, sich von selbst einstellenden Folgen unseres eigenen Tuns. Je besser wir das verstehen, was wir tun, desto geringer werden die Konsequenzen unseres Tuns, die sich in dem Sinne von selbst ergeben, dass wir sagen können, dass wir sie nicht wollten.


3. Die mögliche Verwandlung des „von selbst“ in „selbst“: Das Begreifen

Der Text wird in Kürze fortgesetzt.


Fußnoten