Texte:Simone de Beauvoir und "Lady Catterley": Unterschied zwischen den Versionen

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Dabei geht es Beauvoir nicht um solche Ziele, wie Germanys next Top-Model bei Heidi Klum zu werden. Beauvoir geht davon aus, dass die menschlichen Lebensentwürfe in einem sozialen und politischen Zusammenhang stehen und sich darauf richten, die Welt zum Besseren zu verändern. Das geschieht beispielsweise dann, wenn die Entwürfe vieler Menschen in die gleiche oder ähnliche Richtung gehen. Wenn sich arbeitende Menschen in Gewerkschaften oder Parteien zusammenschließen, um gegen ihre Ausbeutung anzukämpfen; wenn Sklaven sich gegen die Sklaverei erheben oder die Schwarzen in den USA gegen die Rassentrennung kämpfen. Aber auch jeder Entwurf eines Individuums zählt, wenn er dazu beiträgt, sich selbst und die Welt zu begreifen und verändern zu können.
 
Dabei geht es Beauvoir nicht um solche Ziele, wie Germanys next Top-Model bei Heidi Klum zu werden. Beauvoir geht davon aus, dass die menschlichen Lebensentwürfe in einem sozialen und politischen Zusammenhang stehen und sich darauf richten, die Welt zum Besseren zu verändern. Das geschieht beispielsweise dann, wenn die Entwürfe vieler Menschen in die gleiche oder ähnliche Richtung gehen. Wenn sich arbeitende Menschen in Gewerkschaften oder Parteien zusammenschließen, um gegen ihre Ausbeutung anzukämpfen; wenn Sklaven sich gegen die Sklaverei erheben oder die Schwarzen in den USA gegen die Rassentrennung kämpfen. Aber auch jeder Entwurf eines Individuums zählt, wenn er dazu beiträgt, sich selbst und die Welt zu begreifen und verändern zu können.
   
'''Die vorausgesetzte Freiheit''' gibt dem Subjekt die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Das hört sich einfacher an, als es ist. Denn erstens wissen wir ja nicht von Geburt an, wer wir sind, das müssen wir im Lebensprozess erst lernen. Zweitens gibt es immer das Risiko, dass unsere Entwürfe scheitern. Es gibt keine Garantie, dass unsere Lebenspläne gelingen, es kann durchaus sein, dass unsere Entwürfe/Pläne ein ganz anderes Ergebnis zeitigen, als wir uns vorgestellt haben.
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'''Die vorausgesetzte Freiheit''' gibt dem Subjekt die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Das hört sich einfacher an, als es ist. Denn erstens wissen wir ja nicht von Geburt an, wer wir sind, das müssen wir im Lebensprozess erst lernen. Zweitens gibt es immer das Risiko, dass unsere Entwürfe '''scheitern'''. Es gibt keine Garantie, dass unsere Lebenspläne gelingen, es kann durchaus sein, dass unsere Entwürfe/Pläne ein ganz anderes Ergebnis zeitigen, als wir uns vorgestellt haben.
 
 
 
'''Die vorausgesetzte Freiheit''' realisiert sich nur im Handeln, in '''der Tätigkeit'''. Und sie bietet uns nur die Möglichkeit, uns zu transzendieren. Viele Menschen nehmen diese Möglichkeit nicht wahr und verbleiben in der Immanenz. Das heißt, sie führen ein immer gleichförmiges Leben, ohne sich zu entwickeln. Den Grund dafür sieht Beauvoir in der Tendenz des Subjekts, '''sich in Dingen zu entfremden'''. Menschen umgeben sich mit Dingen (Häuser, Wohnung, Autos, technische Geräte, Kunst), statt sich um ihre Selbstverwirklichung zu kümmern. Sich in Dingen zu entfremden, ist der bequemere Weg. Denn sich selbst zu verwirklichen, heißt auch, sich gegen Traditionen, herrschende Meinungen, gesellschaftliche Regeln durchzusetzen. Anders zu sein als alle anderen kann sehr einsam machen und unbequem sein, deshalb wählen viele Menschen den einfacheren Weg. Und in einer kapitalistischen Warenproduktionsgesellschaft ist die Verführung, sich mit Dingen zu umgeben, sehr groß.
 
'''Die vorausgesetzte Freiheit''' realisiert sich nur im Handeln, in '''der Tätigkeit'''. Und sie bietet uns nur die Möglichkeit, uns zu transzendieren. Viele Menschen nehmen diese Möglichkeit nicht wahr und verbleiben in der Immanenz. Das heißt, sie führen ein immer gleichförmiges Leben, ohne sich zu entwickeln. Den Grund dafür sieht Beauvoir in der Tendenz des Subjekts, '''sich in Dingen zu entfremden'''. Menschen umgeben sich mit Dingen (Häuser, Wohnung, Autos, technische Geräte, Kunst), statt sich um ihre Selbstverwirklichung zu kümmern. Sich in Dingen zu entfremden, ist der bequemere Weg. Denn sich selbst zu verwirklichen, heißt auch, sich gegen Traditionen, herrschende Meinungen, gesellschaftliche Regeln durchzusetzen. Anders zu sein als alle anderen kann sehr einsam machen und unbequem sein, deshalb wählen viele Menschen den einfacheren Weg. Und in einer kapitalistischen Warenproduktionsgesellschaft ist die Verführung, sich mit Dingen zu umgeben, sehr groß.

Version vom 25. April 2009, 11:04 Uhr

Simone de Beauvour und "Lady Chatterley"
Eine existentialistische Analyse des Geschlechterverhältnisses am Beispiel des Romans « Lady Chatterley » von T.H. Lawrence
von Uschi Siemens
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1. „Das andere Geschlecht“, seine Zeit und Bedeutung

Mein Vortrag bezieht sich im wesentlichen auf « Das andere Geschlecht » von Simone de Beauvoir und auf den Roman „Lady Chatterley“ von D.H. Lawrence. „Das andere Geschlecht“ wurde 1948 veröffentlicht. Simone de Beauvoir hat über zwei Jahre für dieses Buch recherchiert. Dieses Buch entstand, kurz nachdem Beauvoir zusammen mit Sartre die Theorie des Existentialismus entwickelt hat. Diese Theorie ist entstanden während der Besatzungszeit der Nazis als Reaktion auf die Resistance, die französische Widerstandsbewegung. “Das andere Geschlecht“ ist also nicht aus einer feministischen Sicht geschrieben, sondern Beauvoir analysiert in diesem Buch das Geschlechterverhältnis aus der existentialistischen Perspektive.

2. Der Existentialismus

Um „Das andere Geschlecht“ und vor allem Beauvoirs Kritik an dem Roman von Lawrence verstehen zu können, müssen wir uns als erstes mit einigen elementaren Begriffen und Grundlagen der existentialistischen Theorie vertraut machen.

Die existentialistische Theorie geht davon aus, das der Mensch als freies Subjekt in die Welt geworfen wird. Geworfenheit bedeutet, es gibt keine uns äußerliche Institution (kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun, nicht einmal die Eltern), die unser Leben bestimmen, ihm einen Sinn geben kann. Der Existentialismus geht davon aus, dass jedes Subjekt den Sinn seines Lebens selber bestimmt und damit auch Verantwortung für sein Leben übernimmt.

Das Subjekt bestimmt sein Leben selbst, indem es sich entwirft. Sich entwerfen heißt soviel wie, sich selbst zu entwickeln, sich zu verwirklichen, sich Ziele zu setzen und Wege zu suchen, diese Ziele zu erreichen. Oder auch: sich zu transzendieren, immer wieder über sich selbst hinaus zu wachsen.

Dabei geht es Beauvoir nicht um solche Ziele, wie Germanys next Top-Model bei Heidi Klum zu werden. Beauvoir geht davon aus, dass die menschlichen Lebensentwürfe in einem sozialen und politischen Zusammenhang stehen und sich darauf richten, die Welt zum Besseren zu verändern. Das geschieht beispielsweise dann, wenn die Entwürfe vieler Menschen in die gleiche oder ähnliche Richtung gehen. Wenn sich arbeitende Menschen in Gewerkschaften oder Parteien zusammenschließen, um gegen ihre Ausbeutung anzukämpfen; wenn Sklaven sich gegen die Sklaverei erheben oder die Schwarzen in den USA gegen die Rassentrennung kämpfen. Aber auch jeder Entwurf eines Individuums zählt, wenn er dazu beiträgt, sich selbst und die Welt zu begreifen und verändern zu können.

Die vorausgesetzte Freiheit gibt dem Subjekt die Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen. Das hört sich einfacher an, als es ist. Denn erstens wissen wir ja nicht von Geburt an, wer wir sind, das müssen wir im Lebensprozess erst lernen. Zweitens gibt es immer das Risiko, dass unsere Entwürfe scheitern. Es gibt keine Garantie, dass unsere Lebenspläne gelingen, es kann durchaus sein, dass unsere Entwürfe/Pläne ein ganz anderes Ergebnis zeitigen, als wir uns vorgestellt haben.

Die vorausgesetzte Freiheit realisiert sich nur im Handeln, in der Tätigkeit. Und sie bietet uns nur die Möglichkeit, uns zu transzendieren. Viele Menschen nehmen diese Möglichkeit nicht wahr und verbleiben in der Immanenz. Das heißt, sie führen ein immer gleichförmiges Leben, ohne sich zu entwickeln. Den Grund dafür sieht Beauvoir in der Tendenz des Subjekts, sich in Dingen zu entfremden. Menschen umgeben sich mit Dingen (Häuser, Wohnung, Autos, technische Geräte, Kunst), statt sich um ihre Selbstverwirklichung zu kümmern. Sich in Dingen zu entfremden, ist der bequemere Weg. Denn sich selbst zu verwirklichen, heißt auch, sich gegen Traditionen, herrschende Meinungen, gesellschaftliche Regeln durchzusetzen. Anders zu sein als alle anderen kann sehr einsam machen und unbequem sein, deshalb wählen viele Menschen den einfacheren Weg. Und in einer kapitalistischen Warenproduktionsgesellschaft ist die Verführung, sich mit Dingen zu umgeben, sehr groß.

Beauvoir ist sich durchaus darüber im klaren, dass die Freiheit, sich zu entwerfen, durch gesellschaftlichen Verhältnisse unterschiedlich eingeschränkt wird. Ihre Forderung lautet deshalb: “Ich verlange für die Menschen Gesundheit, Bildung, Wohlbefinden, Muße, auf dass ihre Freiheit nicht im Kampf gegen Krankheit, Unwissenheit, Not aufgezehrt werde.“ (Aus Pyrrhus und Cineas). Und Beauvoir selber hat versucht, ihre Theorie auch zu leben, indem sie sich politisch und sozial engagiert hat, in der Friedensbewegung, gegen den Algerien-Krieg und besonders in der Frauenbewegung.